Die Tochter des Leuchtturmmeisters
hatte man an einem schönen Oktobertag in den Wellen treibend gefunden. Mit seinen siebenundachtzig Jahren hatte er die Hälfte seiner Hummerkörbe leeren können, dann war er vermutlich über Bord gegangen. Er wurde nie gefunden. Ihr Vater sagte, er glaube, dass Onkel Sture es genauso gewollt hätte. Als der nächste Sommer kam, hatte Karin nicht baden wollen, weil sie an Onkel Sture dachte, der dort irgendwo im Wasser lag. Jetzt, beim Gedanken an Arvid Stiernkvist und Pater Noster, verspürte sie dasselbe schaurige Gefühl.
Dann kam ihr eine Idee. Das Boot könnte doch ihr Zuhause werden. Sie würde einfach hier wohnen. Ihr fielen auch noch andere Leute ein, die an Bord wohnten. Sie schaute sich um. Die Jacht war vom Typ Knocker-Imram, eine ziemlich ungewöhnliche französische Stahlyacht mit einer Länge von zweiunddreißig Fuß. An Bord dieses kaum zehn Meter langen und drei Meter breiten Schiffs gab es eigentlich alles, was sie brauchte, außer Dusche und Waschmaschine. Gleich hinter dem Niedergang befand sich links der Navigationstisch und rechts die Toilette. Geradeaus lag linker Hand eine kleine Pantry und rechter Hand die Heizanlage. In der Mitte des Bootes hatte ein Tisch Platz gefunden mit Bänken auf beiden Seiten, die lang genug zum Schlafen waren. Im Vorschiff befand sich ein großer dreieckiger Schlafplatz, und nach achtern lagen zwei weitere Kojen. Es gab ausreichend Stauraum und einen kleinen Kühlschrank, in den erstaunlich viel hineinpasste, wenn man es nur richtig stapelte.
Karin öffnete die Bar in der Pantry und wählte sorgfältig zwischen den Flaschen mit Single Malt Whisky. Letzten Endesentschied sie sich für einen siebzehnjährigen Ardberg. Den hatte sie vor der schottischen Westküste in der Destille auf der Insel Islay gekauft, wohin sie gesegelt war. Mit diesem Boot, dachte sie. Und mit Göran. Sie schenkte sich ein Glas Whisky ein und tat einen Schluck Wasser hinzu. Dieses Glas beschloss sie auf ihr neues Zuhause zu erheben, und ein paar Tropfen träufelte sie auch ins Cockpit. Dann zog sie sich die Schuhe an, ging an Deck und ließ ein paar weitere Tropfen ins dunkle Salzwasser fallen. Ich bin vielleicht albern, dachte sie, hatte bei dem Ritual aber zugleich ein gutes Gefühl.
Einen kurzen Moment saß sie im Cockpit und schaute auf den Sternenhimmel, bevor sie die Heizung herunterdrehte und sich im Spülbecken der kleinen Pantry die Zähne putzte. Sie stellte den Wecker ihres Mobiltelefons früher als üblich, damit sie noch in die Wohnung fahren und vor der Arbeit duschen konnte. In der Dunkelheit, die sie umhüllte, als sie das Licht der Petroleumlampe ausgeblasen hatte, fühlte sie sich sicher und geborgen. Tastend ging sie ins Vorschiff und schlüpfte unter die Decke. Die Bettwäsche war kalt und klamm, und sie rollte sich zusammen. Ein paar Minuten später war sie warm geworden und schlief beim Klang der Regentropfen ein, die aufs Deck herunterprasselten.
Pater-Noster-Leuchtturm, September 1962
Die Mutter hatte ihr immer gesagt, dass man nie etwas umsonst bekam. Eine Leuchtturmmeisterfrau wie Mutter verstand es, auf sich aufzupassen. Die Eltern vertrauten Elin, obwohl auch sie bemerkt hatten, welche Veränderung mit ihr vorgegangen war.
Sie hatte keineswegs vor, sich einfach mitreißen zu lassen, doch jedes Mal, wenn Arvid und sie sich trafen, schien sich zwischen ihnen Wärme auszubreiten. Sie konnte nicht anders als lächeln, wenn sie an ihn dachte.
Elin hatte von Anfang an deutliche Regeln aufgestellt und gedacht, das würde ihm bald die Lust nehmen. Es war aber nicht passiert, sondern er hatte ihre Wünsche respektiert.
Sie waren spazieren gegangen, doch niemals in Marstrand. Sie hatten nächtelang geredet, waren zusammen gesegelt und hatten gelesen. Sie liebte es, den Kopf auf seinen Schoß zu legen und ihm beim Lesen zuzuhören. Aus seinem Mund klangen die Worte anders, die Gestalten erhielten Leben, bestanden aus Fleisch und Blut. Er war der Held, der Gentleman, und sie die Prinzessin. Arvid war genauso begeistert von Evert Taubes Musik wie sie selbst, und sie hatten zusammen getanzt und gesungen.
Er hatte sie nach Hause begleitet, um ihre Eltern kennenzulernen. Der Leuchtturmmeister hatte ihn mit seinem prüfenden Blick angeschaut, aber nichts anderes gesehen als einen verlässlichen Kerl, der ihm geholfen hatte, wegen des dichten Nebels Knallschüsse abzufeuern, und der interessiert zugehört hatte, als er ihm erklärte, wie der Leuchtturm funktionierte. Die
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