Die Tochter des Leuchtturmmeisters
noch immer in der Hocke, die Hand auf dem Deck. »Göran wird nicht mehr mit uns segeln.« Sie schaute umher, um sicherzugehen, dass sie keiner hörte. Bestimmt fuhr man eine Menge Gaga-Punkte ein, wenn einer mitkriegte, dass man mit seinem Boot redete. Sie schloss den Niedergang zur Kajüte auf und stieg die beiden Holzstufen hinunter. Es roch schwach nach Diesel undPetroleum, ein Geruch, der ihren Körper wie immer schnell entspannte.
Sie goss etwas Brennspiritus auf einen Wattebausch und legte ihn in den rostfreien runden Heizofen. Das Modell der Marke Refleks war altbewährt und erwärmte die Kajüte auf angenehme Weise. Außerdem hatte man ihn klugerweise mitten im Boot platziert, und er besaß eine Kochplatte, umgeben von einem kleinen Schutzgitter, weshalb man darauf auch Essen kochen konnte. Das Schutzgitter war besonders wichtig bei schwerem Wetter, da es die Kochgefäße am Umkippen hinderte, wenn das Boot in Schräglage geriet. Das Ventil für den Diesel hatte sie bereits aufgedreht, und als sie das Feuerzeug an den Wattebausch hielt, gab es ein leichtes Verpuffen, und der Ofen war in Gang. Sie füllte den Kessel mit Wasser und stellte ihn auf die Kochplatte. Dann legte sie sich auf eine der Bänke und genoss das beruhigende Schaukeln des Bootes.
Das Pfeifen des Teekessels weckte sie. Sie packte den Rucksack aus und machte sich von dem Mitgebrachten ein paar Brote. Tee und Stullen schmeckten nirgends so gut wie an Bord. Draußen war es dunkel geworden, und die Petroleumlampe über dem Tisch verbreitete ein behagliches Licht. Sie legte eine CD ein. Evert Taube, gesungen von seinem Sohn Sven-Bertil, ertönte aus den Lautsprechern. Karin griff nach der Seekarte, die auf dem Navigationstisch lag. Göran würde sagen, hier sehe es unaufgeräumt aus, man habe Seekarten nicht draußen herumliegen, wenn man gut festgebunden im Hafen liege. Für Karin aber hatte das mit Gemütlichkeit zu tun. Sie ließ den Finger von Lysekil rein nach Malö strömmar und raus zu Käringön und Gullholmen wandern. Dann weiter nach Süden, vorbei an Klädesholmen, dem Leuchtturm Barrlind und durch den Marstrand-Fjord. Selbst mit geschlossenen Augen konnte sie die Orte vor sich sehen. Sie las die Namen der Fjorde, der Inseln und kleinen Felseneilande, während Sven-Bertil Taube die wundervollen Lieder seines Vaters sang.
…
Wer rudert herbei durch die brandende See?
Ein Fräulein, Herr Flinck, kommt allein im Boot.
Es bläst, laut brüllt der Nordwest
…
Karin hatte den Liedern von Kindheit an gelauscht. Als sie aufwuchs, verbrachte die Familie jeden Sommer im Segelboot, und abends hockte sie mit ihren Eltern im Cockpit, um zu planen, wohin die Fahrt am nächsten Tag gehen sollte. Eigentlich war schon längst Schlafenszeit gewesen, aber weil sie so großes Interesse zeigte, erlaubten ihre Eltern, dass sie aufblieb.
Ihr Vater wusste viel über die Geschichte Bohusläns, und wenn er erzählte, bekamen die flachen Inseln auf der Seekarte Leben. Bohuslän war eine Schatzkammer, zu der sie den Schlüssel von ihm bekommen hatte. Das Boot der Eltern glich mehr einem Fischerboot als einem Segelboot und war tatsächlich auch mal ein Trawler gewesen. Die Fischer in den Häfen hoben drohend die Faust, wenn die Sommerfrischler in ihren Plastikbooten ankamen, doch für den blauen Trawler machten sie bereitwillig Platz. Der war zwar ebenfalls aus Plastik, aber hatte blutrot gegerbte Segel und das richtige traditionelle Aussehen. Ihr Vater plauderte stets mit den Fischern, und Karin lauschte und versuchte den breiten Dialekt zu verstehen, während sie Muscheln und schöne Steine suchte. Ganz besonders schöne Muscheln fand sie dort, wo die Fischer ihre Netze säuberten.
Karin lächelte bei den Erinnerungen. Onkel Åke auf Lilla Kornö, der zu Mittsommer immer Schifferklavier gespielt und ihren vergessenen Pullover einen ganzen Winter lang aufbewahrt hatte, um ihn ihr im nächsten Sommer zurückzugeben. Fritz, der Hafenmeister auf Ramsö südlich der Kosteröarna, der einen ordentlichen Whisky nie ablehnte und anschließend zum nächsten Besucherboot stolperte. Tante Gerda auf Kalvön,die in ihrem Steinplattenofen Brot und Backwaren buk, von denen sie Karin und ihrem Bruder Kostproben anbot, wenn sie bei ihrem Mann Sture Krabben kauften. Diese Fischer mit ihren tüchtigen Frauen waren die letzten ihres Schlages, mit ihnen ging eine ganze Epoche zu Ende. Keiner von ihnen fischte mehr, und nur wenige waren noch am Leben.
Onkel Stures Boot
Weitere Kostenlose Bücher