Die Tochter des Leuchtturmmeisters
die Scheibe undversuchte, den Atem anzuhalten. Die Tafel mit dem Informationstext hatte so kleine Buchstaben, dass man sie absolut nicht entziffern konnte, aber der Gegenstand an der Wand war deutlich zu sehen. Sollte sie vielleicht den Feldstecher aus dem Boot holen, um die Schrift auf der Tafel zu lesen?
»Ein Hammer«, sagte sie eifrig und wies auf die Scheibe, als Per näher kam.
»Eine Axt«, korrigierte er sie. »Ich habe gerade mit dem Vorsitzenden der Freunde Vingas gesprochen. Die Axt war hier in den vierziger Jahren vom Gehilfen des Leuchtturmwärters gefunden worden. Westerberg hieß der.«
»Und jetzt? Was machen wir jetzt?«, fragte Anita und schaute sich um. Die roten Häuser waren gut in Schuss, die kleinen Gärten gepflegt, und die Gartenmöbel standen zusammengeklappt an der Wand, bedeckt mit einer Plane. Die weißen Markierungen auf dem Felsen, die auf verschiedene Spazierwege hinwiesen, schienen frisch aufgetragen, doch so weit das Auge reichte, gab es nichts, das an eine Axt oder einen anderen Anhaltspunkt denken ließ.
Sie waren zum Boot zurückgekehrt und hatten Anitas Hähnchenpastete verspeist, zusammen mit einem im Meer gekühlten Bier. Die schwarz-weißen Eidererpel ließen ihr
uhu uhu
ertönen. Anita liebte diesen Ruf, obwohl er dem Kampf um die Weibchen galt. Der Mangel an weiblichen Tieren war ein ständiges Problem für die Erpel, in Anitas Ohren aber wirkte der Ton ruhevoll.
»Wir wissen, dass der Gegenstand eine Axt ist, aber was hilft uns dieses Wissen?«, sagte Per und zog den Zettel mit den Gedichtzeilen aus der Tasche.
»Karl-Axel war sehr gewitzt«, erwiderte Anita nachdenklich.
»Und?« Per zuckte mit den Schultern. »Diese letzte Strophe, die wir nicht gelöst haben, was kann sie bedeuten?«
Anita las die Zeilen noch einmal vor, langsam und mit Betonung:
Ein Gerät aus vergangener Zeit
vom Ort der Ruhe nicht weit.
In Erwartung einer wärmeren Jahreszeit lagen die Inseln still und ruhig da, als die beiden Vinga verließen und sich nordwärts nach Marstrand begaben. Das Gespräch auf dem Heimweg hatte sich mehr um Pers Erkrankung als um Karl-Axels Schatz gedreht. Per wusste nicht, was er sagen sollte. Der Arzt musste weitere Untersuchungen vornehmen und würde sich melden, das war alles an Information, was er bisher besaß. Anita war mit der Antwort ganz und gar nicht zufrieden, doch eine andere konnte er ihr nicht geben.
Daheim schaltete Anita den Spot ein, der das Schiffsmodell beleuchtete. Die beiden standen davor und betrachteten das Schiff, bis Anita ins andere Zimmer ging, um das Ende eines englischen Krimis zu sehen. Per blieb allein zurück.
»Vinga«, sprach er vor sich hin. »Elternhaus, eine Axt.« Er goss sich einen Whisky ein und genoss dessen Duft, dann aber ließ er das Glas wieder sinken. Der Arzt hatte gesagt, er dürfe keinen Alkohol trinken. Er stellte das Glas auf den Schreibtisch. In diesem Moment entdeckte er den Gegenstand, den er nie zuvor beachtet hatte. Einer der kleinen Seemänner auf Deck trug etwas in seinem Gürtel. Per drehte das Licht auf und beugte sich vor. Eine Axt! Wozu hatte ein Seemann auf einem Schiffsmodell eine Axt? Das schien ihm völlig fehl am Platz.
Per brauchte ganze zwei Stunden, bis er zwischen all dem Gerümpel auf dem Dachboden die Vergrößerungslampe fand, die Anitas Mutter gehört hatte. Die alte Dame war am Ende völlig blind gewesen, doch bis dahin hatte sie mit Hilfe der Lampe lesen und Kreuzworträtsel lösen können. Als die winzige Axt endlich unter der großen Linse lag, konnten sie sehen, dass etwas darauf geschrieben war.
»O wie spannend! Kannst du entziffern, was da steht?« Anitas Krimi war zu Ende, und nun nahm sie wieder an der Schatzsuche teil.
»Wir sollten die Kinder mal bitten, den Boden aufzuräumen. Das meiste da oben gehört schließlich ihnen.« Trotz dieser Bemerkung verriet Pers Stimme, dass ihm der Dachboden eigentlich ziemlich egal war, vielmehr befürchtete er eine Enttäuschung. War die Axt womöglich nicht das Indiz, das sie weiterbrachte?
»Sag schon, was da steht, Per!«
»Sieh mal«, flüsterte er aufgeregt, doch bevor Anita sich noch vorbeugen und durch die Linse schauen konnte, fuhr er fort: »Ach du Scheiße, ›Seite 113‹!«
»Ach du Scheiße steht da ja wohl nicht?«, sagte Anita.
»Nein, da steht nur ›Seite 113‹.«
»Was? In welchem Buch?« Anita schaute ihn fragend an.
»Keine Ahnung. Ich habe eine Menge Bücher von Karl-Axel bekommen, eins davon muss es ja
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