Die Tochter des Leuchtturmmeisters
ihren Worten.
»Musst du so sarkastisch sein? Mein Problem ist, dass ich zu einer ungemein wichtigen Sitzung muss …«
»Ist die Sitzung dir wichtiger als deine Kinder?«
»Nein, natürlich nicht, aber es ist schwierig für mich …«
»Hast du das deiner Mutter erklärt, als sie anrief, um abzusagen? Dass du eine wichtige Sitzung hast?«
»Nein, sie musste doch Diane helfen. Ich wollte ihr keine Schwierigkeiten machen. Habe einfach vergessen, dass du auch wegmusst.«
Als hätte das eine Rolle gespielt, dachte Sara.
»Meinst du, ich soll hier auf Nordön aussteigen und die ganze Strecke zurücklaufen?«, fragte sie halbherzig. »Ich kann den Psychologen anrufen und sagen, ich sei verhindert …«
Sie gestand sich ein, dass es schon schön wäre, dem Termin zu entgehen.
»Nein, ich überlege nur, wie wir das lösen können.«
Sara blickte auf die Akkuanzeige ihres Telefons – kein einziger Balken mehr auf dem Display.
»Du, Tomas, mein Akku ist gleich leer. Du musst wohl deine Sitzung absagen und die Kinder abholen, denn für mich ist es schwierig …« Das Telefon war nun tot. Saras erster Gedanke war, sich ein Telefon im Bus auszuleihen. Dann besann sie sich. Sollte doch er sich um die Sache kümmern. Er holte die Kinder nie ab. Seit sie krankgeschrieben war, hatte er es kein einziges Mal getan. Dass er sie früh um neun nicht hinbringen konnte, sah sie ein, aber es sprach ja wohl nichts dagegen, sie hin und wieder abzuholen. Das war weiß Gott nicht zu viel verlangt.
Göteborg, Oktober 1962
Es war, als hätte sich ein Tor aufgetan, und als Arvid es durchschritten hatte, verstand er plötzlich all die Gedichte, die ihre Mutter ihnen abends vorgelesen hatte. Der Vater hatte zugehört und genickt, und die beiden hatten sich angesehen, als würden sie ein Geheimnis teilen, was sie in gewisser Weise ja auch getan hatten.
Die Liebe hatte ihn mit solcher Kraft gepackt, dass Arvid weder schlafen noch essen konnte, und er erwischte sich selbst dabei, wie er mit einem Lächeln auf den Lippen herumlief. Ein unbeschreibliches Gefühl, so als hätte er bisher im Dunkeln gelebt. Sie war das Licht auf seinem Weg. Seine Geschäfte erschienen ihm mit einem Mal weniger wichtig.
Die Göteborger Luft war rau und feucht, aber die Kälte des dunklen Oktoberabends konnte ihm nichts anhaben. Auf dem Heimweg vom Büro ging er beim Juwelier vorbei. Er kontrollierte die Größe der beiden Ringe und bezahlte. Die Frau hinter dem Ladentisch lächelte und drückte die Hoffnung aus, ihn bald wiederzusehen. Das hoffte er ebenfalls. Die jüngere Hilfskraft verbeugte sich und öffnete ihm die Tür. Obwohl es nur ein kleines Päckchen war, wog es schwer in der Manteltasche. Mehrmals steckte er die Hand hinein, um es zu fühlen. Es enthielt seine Zukunft, jedenfalls hoffte er das.
Er ging die Allee hinauf und bog rechts in die Vasagatan ein, während er darüber nachdachte, wie er anfangen sollte. In der Wohnung angekommen, setzte er sich mit Papier und Stift ins Arbeitszimmer und begann die Worte zu formulieren. Drei Seiten landeten zerknüllt im Papierkorb. Nun lag ein neues weißes Blatt vor ihm.
»Ich weiß, dass wir, oder in erster Linie du, gezweifelt haben, weil wir nach außen hin so unterschiedlich sind …«
Das nächste Blatt landete im Papierkorb. Hin und wieder kam es ihm so vor, als gäbe es einfach keine Worte für das,was er fühlte, als sei die Sprache zu arm dafür. Strauß, Mozart oder Beethoven drückten es bedeutend besser aus. Jetzt hatte er es! Natürlich Evert Taube! Er nahm die Liederbände des Dichters aus dem Bücherregal und fand schließlich »Pierina«.
Blaue Anemonen,
des Mandelbaums Blüten,
wie eine Wolke überm Hügelland,
Hähne krähen am Stadtrand.
Weinberge unser harren,
wo grün berankt die rote Erde,
doch in des Tales Ruh
in Blüte stehst du.
Oh, Pierina, wann triffst du deine Wahl?
Bald bist du neunzehn Jahr!
Hörst du im Tal mein Frühlingsmadrigal?
Willst du mein werden vor dem Altar?
…
Vielleicht sollte er hier aufhören, mit der Frage, ob sie die Seine werden wollte. Er ließ das Blatt auf dem Schreibtisch liegen, als er das Arbeitszimmer verließ, das Speisezimmer durchquerte und zur Garderobe im Flur ging. Seine langen Finger suchten in der Manteltasche und bekamen das kleine Kästchen zu fassen. Die Ringe blitzten ihm zu. Mochte kommen, was da wolle, dachte er. Sie sollte es sein oder keine.
8.
Anita wusste nicht, was sie geweckt hatte. Sie lag schon
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