Die Tochter des Leuchtturmmeisters
verstand. Er sah sie beeindruckt an.
»Verdammt gut. Können wir uns bei irgendwem erkundigen, ob man auf Vinga ein altes Werkzeug oder was Ähnliches gefunden hat? Du hast doch gesagt, das Haus sei jetzt Museum. Dort müssten sie doch solch altes Zeug haben.«
Per war auf den Beinen und zog den Gürtel des Morgenmantels unter dem Bauch fest. Schon fast aus dem Schlafzimmer, kehrte er um, kam zu seiner Frau, die noch immer auf dem Bett saß, und küsste sie auf die Stirn.
»Per«, sagte Anita und sah ihn ernst an. »Was ist los?«
Eigentlich wollte er entgegnen, es sei nichts, doch dann setzte er sich zu ihr aufs Bett, nahm ihre Hand und erzählte, wie die Lage war. Der Arzt hatte gesagt, es wäre Krebs, aber Per hatte nicht geglaubt, dass es so ernst war, weil er keine besonderen Schmerzen verspürte und sich auch nicht besonders schlecht fühlte. Mehr als das wüsste er eigentlich selber nicht, nur dass man weitere Tests machen musste.
Der erste Anruf bei der Werft von Ringen kam an diesem Morgen von Per, der seine Targa 37 ohne Aufschub ins Wasser gebracht haben wollte. Rasch nahm das Personal Änderungen im Terminkalender vor, und zu Mittag lag das Motorboot vollgetankt und startklar am Bootsanleger. Anita hatte erst versucht, ihn zu stoppen, doch nach kurzer Diskussion hatte sie stattdessen einen Picknickkorb gepackt und ihren Französischkurs abgesagt. Die Sonne schien, aber der Frühlingswind war eiskalt, als sie Kurs gen Süden nahmen. Anita betrachtete ihren Mann verstohlen und hatte Lust, ihn zu fragen, wo er eigentlich so lange gewesen war.
Ein einziges Segelboot begegnete ihnen unterwegs. Es war dunkelgrün und führte eine holländische Flagge. Ein Paar in den Siebzigern saß in Flaotinganzügen an Bord. Sie hielten Kaffeepötte in den Händen und winkten ihnen fröhlich zu. Anita sagte nichts, dachte jedoch bei sich, ob Per wohl seinen Siebzigsten erleben würde. Sie fragte sich, ob er dasselbe dachte, ob er sich darüber Gedanken machte, dass das Unausweichliche vielleicht früher eintrat als erwartet.
Der Hafen von Vinga war total leer. Nach dem Seegras zu urteilen, das in dem klaren Wasser schnell vorübertrieb, herrschte eine starke Strömung in dem schmalen Sund, aber das Boot glitt mit vibrierendem Motor an den Anleger. Per fuhr mit Bugstrahlruder, obwohl es eigentlich nicht nötig war. Anita schüttelte den Kopf. Boys and their toys.
Normalerweise war der kleine Hafen gedrängt voll, aber jetzt konnten sie längsseits anlegen und brauchten kein Haltetauvom Boden aufzufischen oder einen Anker auszuwerfen. Der rote Kiosk, den der Verein der Freunde Vingas im Sommer betrieb, war mit großen Fensterläden verrammelt.
»Komm jetzt!« Anita war ungeduldig. Nachdem sie die Achterleine festgemacht hatte, lief sie rasch die Treppe vom Hafen zum Weg hinauf, der zum Wohnhaus und weiter zu Leuchtturm und Bake führte. Das große rotgestrichene Seezeichen neben dem mächtigen Turm sah aus wie eine Pyramide, auf dessen Spitze eine runde Kugel steckte. Das war die Bake, die Braut bei Evert Taube, und Vingas schöner Leuchtturm aus Stein war der Bräutigam. Weder Per noch Anita sagten etwas, als sie mit raschen Schritten auf das rote Gebäude, einst Evert Taubes Elternhaus, zugingen.
»Mist, es ist zu«, sagte Per, nachdem er auf die Klinke gedrückt hatte.
Anita versuchte durch die Fenster zu spähen, aber die lagen zu weit oben. Sie fand einen Emailleeimer, drehte ihn um und stellte sich darauf, legte die Hände um die Augen, um hineinzuschauen. Sorgfältig musterte sie die Gegenstände in jedem Zimmer. Erst als sie das ganze Haus umrundet hatte und wieder an der Treppe zum Eingang war, rief sie: »Komm her! Beeil dich! Ich glaube, ich sehe etwas.«
Per stand ein Stück entfernt und sprach in sein Handy. Er winkte Anita zu und wies auf das Telefon. Wie dumm von ihr. Hatte sie wirklich gedacht, er habe sich verändert, nur weil sie sich gemeinsam in ein Abenteuer stürzten? Wahrscheinlich war es irgendein Geschäftsfreund, wegen dem er wieder einmal alles fallenließ, vom Abendessen aufstand, die Kinder nicht zu Bett brachte oder, wie jetzt, sie stehen ließ.
Sie schaute noch einmal durchs Fenster. Dort an der Wand hing ein Gegenstand, der einzige, der zu der Beschreibung »aus vergangener Zeit« passte. Ihr Atem hatte die Scheibe beschlagen lassen. In der Innentasche ihrer Jacke steckte ein altes Taschentuch, das zwar benutzt war, aber noch zum Abwischen taugte. Anita drückte die Nase gegen
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