Die Tochter des Leuchtturmmeisters
wohl sein.«
»Hatte er ein Lieblingsbuch? Über das ihr geredet habt?«, fragte Anita voller Eifer.
Jetzt zur Nacht war die Temperatur im Haus gesunken, und Anita hatte sich einen Pullover übergezogen, einen grünen, den ihr Per auf einer Irlandreise gekauft hatte. Grün stand ihr gut, fand er.
»Per?« Anita schien eine Antwort zu erwarten.
»Ja? Entschuldige.«
»Ein Lieblingsbuch, hatte Karl-Axel das, eine Erzählung, ein Märchen, eine Legende, egal was?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Und irgendeinen Schriftsteller? Einen, den er besonders mochte?«
»Ja. Evert Taube, natürlich, aber der ist ja wohl mehr Dichter und Sänger als Schriftsteller …«
Per versuchte sich an Gespräche zu erinnern, die er mit Karl-Axel auf der Kommandobrücke oder auch an denschmierigen Tischchen der dunklen Kaschemmen geführt hatte, wo in allen Ecken versoffene Seeleute hockten. Zu jener Zeit hatte er Anita von allem berichtet, meist in Form von Briefen aus den fernen Häfen.
»Wir müssen uns die Bücher von Karl-Axel vornehmen und überall die Seite 113 kontrollieren.«
Johan stand in der Tür zur Bibliothek und schaute erstaunt auf seine Eltern. Ganze Stapel von Büchern lagen anscheinend planlos über den Boden verteilt. Überall vor den Regalen brannte Licht, obwohl draußen die Sonne schien und die vergoldete Uhr an der Wand verkündete, dass es bereits elf war. Seine Mutter saß am Schreibtisch und diskutierte etwas mit seinem Vater, der sich über ein Buch beugte und auf etwas hinwies. Sie waren derart in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihn überhaupt nicht bemerkten.
»Wie sieht es denn hier aus! Was macht ihr eigentlich?«
»Hallo, Sohn. Wir suchen etwas.«
»Aha. Und was?«
»Erinnerst du dich an Karl-Axel Strömmer?«
»Ja klar. Was ist denn mit ihm?«
»Hast du vielleicht irgendwann mal ein Buch von ihm bekommen?«
»Hab ich bestimmt. Keine Ahnung, ehrlich gesagt.«
»Ja, ja.« Per klang zerstreut, als er die Worte seines Sohnes kommentierte.
»Du, auf dem Boden steht eine Menge Zeug von dir und Martin. Es wäre gut, wenn ihr das mal abholen würdet …«, fuhr er fort, aber ohne Nachdruck.
»Mal ehrlich, Papa, was sucht ihr?«, fragte Johan.
Anita stand vom Schreibtisch auf. Ihr tat der Rücken weh. Erstaunt bemerkte sie, wie spät es schon geworden war. Sie hatte dort gut drei Stunden gehockt.
»Hast du Hunger? Ich will für Papa und mich sowieso was zu Mittag machen.«
Johan folgte seiner Mutter in die Küche und erfuhr von dem Brief, dem Hinweis in dem Schiffsmodell und der Axt auf Vinga.
»Ihr habt das Boot ins Wasser gebracht und seid nach Vinga gefahren?« Er lachte. »Mein Gott, Mama …«
»Ja klar. Und dann entdeckte Vater eine Axt bei einem der Besatzungsmitglieder des Modells. Die alte Vergrößerungslampe von Oma half uns beim Entziffern von dem, was auf dieser winzigen Axt stand.«
»Ach, und was stand da?«
»›Seite 113‹. Und nun versuchen wir das Buch von Karl-Axel zu finden, in dem sich auf Seite 113 vielleicht ein Hinweis befindet.«
»Tja, das klingt ja wirklich ganz normal.« Johan hatte ein Bier aus dem Kühlschrank genommen und lehnte mit verschränkten Armen an der Spüle. Dann nahm er einen Schluck.
Per kam in die Küche. »Wolltest du irgendwas, oder bist du nur gekommen, um mein Bier auszutrinken?«, fragte er.
»Ich bin nur gekommen, um dein Bier auszutrinken.« Johan lächelte.
»Anita, haben wir vielleicht was übersehen?«
Sie stand an der Anrichte und schnitt Zwiebeln für die Hackfleischsoße klein. Mittendrin hielt sie inne und überlegte.
»Ich glaube nicht.« Mit dem Handrücken wischte sie sich die Tränen weg.
»Bist du traurig, Anita?«, fragte Per besorgt und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Es ist die Zwiebel, ich schneide Zwiebeln«, erwiderte sie.
»Nimm Wasser in den Mund, dann tränen die Augen nicht«, sagte Per.
»Was?«, fragte Anita verwundert.
»Bernhard, ein Schiffskoch, hat mir das mal beigebracht. Allerdings überlege ich, ob es nicht genauso gut mit Bier geht.« Per schielte auf die grüne Bierdose in der Hand desSohnes, bevor er sich ein Glas Wasser nahm, die Hälfte austrank und den Rest im Mund behielt. Dann übernahm er das Zwiebelschneiden, ohne eine Träne zu vergießen.
»Da sieht man’s mal. Siebenunddreißig Jahre sind wir verheiratet, konnte er das nicht schon früher sagen«, monierte Anita.
Per schluckte das Wasser herunter und küsste seine Frau auf die Wange, bevor er die Zwiebeln in die
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