Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
mitteilsam war. Er war überhaupt auffallend
freundlich zu ihr. War das wirklich ein gutes Zeichen? Die warnende Stimme im Hinterkopf meldete sich wieder.
»Iddin hat mir also von dem Missgeschick erzählt, das geschah, als sie die Grabkammern in den Fels bohrten. Und nun, Maru, stehen wir an der Stelle, an dem der geheime Gang das Grab des Utu-Hegasch berührt.«
Tasil zeigte auf eine Stelle an der Höhlenwand. Dort, fast am Grund des Ganges, war eine schmale Mauer aus Ziegeln in den Fels gesetzt worden. Maru entdeckte diese Stelle erst jetzt. Sie fragte sich, warum Tasil ihr das alles erzählte. Dann begriff sie.
»Du willst in das heilige Grab eines Raik einbrechen?«, rief sie fassungslos.
Tasil zeigte sein Wolfslächeln. »Nein, Maru, du wirst aus Utus Grabkammer aus brechen.«
Dritter Tag
Das Grab des Utu-Hegasch
Der Strom des Lebens trägt dich hierhin und dorthin, doch mündet er am Ende immer ins Meer.
Totenbuch der Akkesch
Maru war wie gelähmt. Das war es also. Tasil hatte vor, das Grab des Raik auszuplündern! Warum hatte sie das nicht früher erkannt? Und er verlangte von ihr, ihm bei diesem ungeheuren Frevel auch noch zu helfen! Utu-Hegasch war ein Ahngott dieser Stadt. Er saß an der Tafel des mächtigen Totengottes Uo. Und Uo war bei all seiner Macht doch nur ein Diener Strydhs. Die Götter würden das nicht hinnehmen. Zorn und Rache würden den Frevler verfolgen bis an sein Lebensende. Und das würde nicht lange auf sich warten lassen. Und was meinte Tasil überhaupt mit »ausbrechen«?
Tasil ließ ihr einen Augenblick Zeit, die Nachricht zu verdauen. Offenbar missverstand er den Grund für ihr Entsetzen. »Ich verstehe deine Bedenken, Maru, denn ich weiß, was die Priester sagen, aber glaube mir: Die Toten brauchen kein Silber, kein Eisen und keinen Schmuck mehr. Und sie haben nichts dagegen, dass wir es nehmen.«
Maru antwortete nicht. Sie starrte ihn nur entgeistert an.
»Jetzt pass auf, Maru. Als nur die Frauen dort lagen, war der Eingang lediglich zugemauert worden, denn die Akkesch mussten das Grab ja noch einmal für den Raik öffnen können. Nach der Beisetzung
von Utu wird es mit einer Steinplatte verschlossen. Du hast sie gesehen. Sie ist so dick und schwer, dass man ein ganzes Heer bräuchte, um sie zu bewegen, wenn sie erst einmal an ihrem Platz ist. Doch jetzt ist die Grabkammer offen. Deshalb wirst du dich dort verstecken. In einer der Nebenkammern oder einer Nische, wir werden schon etwas Geeignetes finden.«
Maru hörte ihm ungläubig zu. Sie? Bei den Toten?
»Sobald das Grab verschlossen ist, suchst du Utus Kammer auf und sammelst, was du an wertvollen Gegenständen findest. Achte auf Edelsteine, Eisen und Silber. Vielleicht geben sie ihm sogar Gold mit auf seine Reise. Halte einfach die Augen auf.«
»Aber ich kann mich doch nicht dort verstecken!«
Tasil ging auf den Einwand gar nicht ein. »Dann trägst du alles, was du findest, auf die andere Seite dieser Wand«, erklärte er weiter. »Ich werde inzwischen anfangen, diese Mauer abzutragen. Sobald ich durch bin, werde ich alles, was du findest, in Empfang nehmen. Zum Schluss ziehe ich dich hindurch, und wir verschwinden für immer aus dieser ungastlichen Gegend.«
Maru rauschte das Blut in den Ohren. Das konnte er doch nicht ernst meinen!
»Keine Angst, ich bin sicher, du schaffst das, Maru.«
Sie sah ihn an. Er war eben so freundlich zu ihr gewesen, und jetzt wusste sie auch weshalb. Fieberhaft überlegte sie, wie sie dieser Falle entkommen konnte.
»Wäre es nicht viel einfacher zu warten, bis die Beisetzung vorüber ist und dann gleich von hier aus einzudringen, Onkel?«
»Das ist ein guter Gedanke, Maru, und ich selbst habe das zuerst genau so geplant, wie du es vorschlägst. Leider wird das aus verschiedenen Gründen nicht gehen.«
»Was für Gründe?«, fragte Maru schnell.
»Zum einen ist da die Zeit. Wie du dich erinnerst, liegen auf der anderen Seite des Berges drei Leichen, die man bald finden wird.
Irgendwann wird man meine kleinen Täuschungen durchschauen und anfangen, uns zu suchen.«
»Aber du hast doch eine falsche Fährte gelegt!«
Tasil lächelte nachsichtig. »Wenn sie ernsthaft suchen, werden sie die richtige Spur irgendwann finden. Sie werden sie natürlich vor der geheimen Pforte verlieren, aber was, wenn sie dort warten? Dann kommen wir nie wieder hier heraus. Also müssen wir uns beeilen, damit wir fort sind, bevor man uns sucht.«
»Wir könnten doch jetzt schon
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