Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin
nicht, dass das nur Märchen sind«, sagte Maru verstimmt.
Tasil band das Pferd an einen Felsvorsprung. Er redete weiter beruhigend auf das Tier ein.
Maru schoss plötzlich eine Frage in den Sinn. »Onkel?«
»Ja?«
»Was hast du mit der Leiche von Malk Iddin gemacht?«
Sie wusste nicht genau, warum sie ausgerechnet diese Frage stellte. Es war so viel geschehen. In ihr tobte ein regelrechter Sturm von Fragen, die alle gestellt werden wollten. Maru rechnete eigentlich gar nicht mit einer Antwort. Vermutlich würde er nur sagen, dass sie das nichts anginge.
Tasil streichelte fast zärtlich den Hals des Pferdes. »Das geht dich eigentlich nichts an …«
Aha! , dachte Maru.
»Aber«, fuhr Tasil zu ihrer Überraschung fort, »da du dich heute gar nicht mal so dumm angestellt hast – für ein Mädchen, versteht sich -, will ich es dir sagen.«
Lobte er sie gerade? Maru traute ihren Ohren kaum.
»Ich habe Iddin zu den beiden Hakul gelegt. Es soll so aussehen, als hätten sie sich gegenseitig umgebracht. Und deshalb habe ich ihnen auch die Dolche und Ringe und was sie sonst an Wertvollem trugen, nicht abgenommen.«
Maru dachte einen Augenblick nach. »Wird das jemand glauben? Da sind doch all die Huftritte im Sand, und Iddin hatte gar kein Pferd. Außerdem hast du ihn mit einer Axt getötet, und Ebu und Ech hatten …«
Tasil unterbrach sie. »Jetzt steckt die Spitze einer Hakul-Lanze in dieser Wunde. Aber es ist tatsächlich so, wie du sagtest, Maru: Kein vernünftiger Mensch wird darauf hereinfallen. Schließlich muss irgendjemand diesen Kampf doch überlebt haben. Aber, was glaubst du, werden die Hakul noch nach Vernunft fragen, wenn sie ihre beiden toten Fürstensöhne sehen? Und die Serkesch? Werden die nicht ebenfalls nach Rache schreien?«
Maru biss sich auf die Lippen. Sie musste sich eingestehen, dass er recht hatte. Hakul und Akkesch hassten einander so sehr, dass sie nicht lange nach Beweisen fragen würden.
»Sollten sie dennoch nach weiteren Spuren suchen«, erklärte Tasil mit einem Grinsen, »so habe ich vorsorglich eine falsche Fährte gelegt. Leicht verwischt, aber gerade noch zu finden.«
Maru wurde plötzlich klar, was das alles bedeutete. »Aber das heißt, dass sie einen Krieg anfangen werden!«
Tasil nahm die Satteltaschen vom Rücken des Pferdes. Er zuckte mit den Achseln. »Möglich. Was kümmert es mich? Früher oder später wäre es ohnehin dazu gekommen. Denk nur daran, was Malk Iddin gesagt hat. Numur bereitet seinen Krieg doch schon lange vor.«
»Aber das ist furchtbar!«
»Ach, es wird schon nicht so schlimm werden. Die Hakul werden hier einfallen, ein paar Bauernhöfe und Dörfer niederbrennen und dann wie immer an den Mauern der Stadt scheitern. Schließlich werden sie abziehen und Heldenlieder singen. Die Akkesch werden zum Gegenschlag ausholen, ein paar Wochen durch das Staubland marschieren und sich Scharmützel mit den Hakul liefern. Und dann werden auch sie wieder abziehen und Heldenlieder singen.« Er überprüfte noch einmal, ob das Pferd gut angebunden war.
»Aber es werden viele sterben.«
»Sterben müssen wir alle. Das kann ich nicht ändern – und du auch nicht. Und jetzt gib mir die Lampe. Wir müssen weiter.«
Er warf sich die Satteltaschen über die Schulter, nahm ihr die Öllampe aus der Hand und ging voran in den finsteren Tunnel. Maru folgte ihm bedrückt. Es schien ihm wirklich nichts auszumachen.
Es zeigte sich, dass der geheime Gang der Akkesch in Wirklichkeit eine lang gestreckte natürliche Höhle war. Hier und da waren enge Stellen und niedrige Durchlässe vergrößert, und der Boden war teilweise geglättet worden, aber eigentlich war der Gang natürlich gewachsen. Vielleicht hatte Tasil recht, und es war wirklich einst
ein Bachlauf gewesen. In dem Fall stimmte vielleicht auch das, was Biredh erzählt hatte: Dass der Bach einst unter dem Schutz der Alfholde Skalwala gestanden hatte.
Vielleicht sitzt sie hier irgendwo im Fels gefangen, dachte Maru. Tasil scheint so etwas nicht zu interessieren. Wäre der Dieb Tiuf mit dem geraubten Gold hier irgendwo eingesperrt, dann würde er sicher den ganzen Berg umgraben.
Sie musste plötzlich grinsen. Dann wischte ein neuer Gedanke das Grinsen aus ihrem Gesicht. Sie wusste immer noch nicht, was Tasil jetzt vorhatte.
Es war so viel geschehen, und die Ereignisse hatten sich überschlagen. Vor wenigen Stunden hatten sie die Stadt verlassen, und dieser Gang war ihr Ziel. Und Maru wusste nicht, warum.
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