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Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin

Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin

Titel: Die Tochter des Magiers 01 - Die Diebin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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passenden Bruchstelle zu suchen. Sie nahm dem Schreiber das kleine Tonstück aus der Hand, suchte kurz und hatte innerhalb weniger Augenblicke die drei zerbrochenen Tontafeln auf dem Boden geordnet und zusammengefügt.
    Der Schreiber war für einen Moment sprachlos, dann las er die Tafeln sorgfältig und jubelte schließlich: »Das ist es, das ist es!«
    Maru lächelte. »Und was hat Taidh aus Albho jetzt gebracht?«
    »Hier steht es doch: »Taidh aus Albho brachte sechzig Lasten Salz in die Stadt. Ich, Kurri, Verwalter des Lagers, nahm sie entgegen im Namen des Raik Utu-Hegasch. So besiegelt am elften Tag des Trockenmondes.«
    »So etwas schreibt ihr auf?« Maru gelang es nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen. Das war nicht aufregender als die langweiligen Erntelisten, wie sie im Dhangar geführt wurden.
    »Das ist wichtig!«, sagte der Schreiber, und er wirkte gekränkt.
    »Wenn du es sagst. Und es ist noch alles da, nichts von der Schrift ist verloren gegangen?«
    »Ja, den Hütern sei Dank! Und wenn ich nicht wieder von einem Mädchen oder einem Trampeltier über den Haufen gerannt werde, kann ich es neu schreiben und endlich Schatir vorlegen.« Der Schreiber stand auf und raffte seine Tafeln zusammen. »Ich
hoffe, unsere nächste Begegnung verläuft weniger stürmisch, Mädchen.«
    Maru nickte missmutig. Der Mann hatte sie mit einem Trampeltier verglichen, das war nicht sehr schmeichelhaft. Aber bevor sie noch etwas erwidern konnte, drehte der Schreiber sich um und eilte über den Platz Richtung Palast. Er sah immer noch nicht wie ein Zauberer aus.
    Sie durchquerte den Torbogen und betrat, leicht verstimmt, einen kleinen Hof, der von den wuchtigen Gebäuden und der emporragenden Festungsmauer fast erdrückt wurde. Am Wall war ein Schrein aufgestellt, der angesichts der beeindruckenden Nachbarschaft klein und verloren wirkte. Maru trat näher heran. Unter einem Schatten spendenden Altarhimmel thronte eine Statue aus rotem Stein. Kerzen und Opferlampen brannten davor. Die Skulptur zeigte in Lebensgröße den Oberkörper eines vielarmigen Mannes, der aus einem Fluss aufzusteigen schien. Sein langes Haar und sein Bart hatten Wellen, die sich mit denen des Flusses vermischten. Seine hervorquellenden Augen und sein lippenloser Mund waren weit aufgerissen. Der Stein war rissig und rußgeschwärzt. Eine Aura von Trauer, Einsamkeit und Verlust umgab das Bildnis.
    »Das ist Dhanis, Gott des Stromes, der alte Vater des Landes«, sagte jemand.
    Maru erschrak. Konnten die Leute sich nicht abgewöhnen, sie aus dem Verborgenen anzusprechen? Aber der Sprecher hatte sich gar nicht versteckt. Er saß nur in der schattigsten Ecke des Platzes auf dem Boden und lächelte. Es war der blinde Biredh.
    »Das also ist Dhanis?«
    Die Figur wirkte alt, sehr alt.
    »Ja, hast du ihn dir anders vorgestellt?«
    Maru seufzte. Leider hatte der Gott sowohl Haare als auch Ohren. Er sah nicht im Entferntesten so wie der Daimon aus dem
Hafenbecken aus. »Warum sollte ich?«, erwiderte sie, betont gelassen.
    »So bist du ihm nicht begegnet?« Biredh grinste. Seine Stimme klang spöttisch. Eigentlich hatte Maru darauf gehofft, den alten Erzähler zu treffen. Wem, wenn nicht ihm, konnte sie von ihrer Begegnung am Fluss erzählen? Doch jetzt sträubte sich etwas in ihr. »Nein, leider nicht«, antwortete sie.
    Biredh lachte laut. »Hattest du das etwa erwartet, Mädchen? Dhanis spricht zu uns, doch nicht in Worten. Er spricht durch das Wasser, die Fische, die Bäume an seinem Ufer. Nur die Narren und die Priester können glauben, dass die Götter unsere Sprache benutzen.«
    Maru betrachtete das faltige Gesicht des Alten, seine leeren Augenhöhlen. Machte er sich über sie lustig? Sie kämpfte mit der Versuchung, ihm die Zunge herauszustrecken. Sie fand, das hatte er verdient. Aber sie fragte nur: »Und warum hast du mich dann zum Hafen geschickt?«
    »Die Kydhier sagen: ›Nachrichten wandern schneller als Fische, aber sie reisen ebenfalls mit dem Fluss.‹ Ich bin sicher, du hast viele Neuigkeiten gehört.«
    »Möglich«, sagte Maru verdrossen.
    »Du musst lernen, das zu hören, was die Leute meinen, nicht was sie sagen.« Der Alte lächelte und sagte leise: »Das gilt vor allem für deinen … Onkel. Er erwartet einiges von dir, sonst hätte er dir das Halsband nicht abgenommen.«
    »Woher weißt du …? Ach, ich verstehe, die Sinne der Blinden.«
    Biredh lachte wieder. »Du lernst schnell. Du bist nicht so dumm, wie der Schreiber gesagt

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