Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
bislang noch gar nicht auf diesen Gedanken gekommen. Aber natürlich, wenn sie so stark war…
»Gutes Kind, gehorsames Kind«, sagte Wika, und es klang spöttisch.
»Sagst du mir jetzt den Weg?«, fragte Maru.
»Den Weg zu Dwailis? Viele Pfade führen durch das Fenn. Sichere, einfache, schwierige, geheime. Welchen willst du, Nehis?«
Maru seufzte. Die Frau stellte ihre Geduld auf eine harte Probe. »Sag mir bitte einfach einen Weg, ehrwürdige Wika, einen, dem wir Fremden alleine folgen können.«
»Einfach muss er also sein«, brummte die Kräuterfrau, »damit auch Narren ihn finden.« Dann erklärte sie es: »Einen solchen Pfad habe ich für dich, Nehis. Wenn ihr die Insel verlasst, wendet euch nach Westen. Die Himmelsrichtungen werdet ihr doch kennen, oder? Seid auf der Hut, die Wege im Isberfenn sind verschlungen und haben schon viele in die Irre geführt. Dann stoßt ihr auf Inseln. Nicht aus Schilf. Andere Inseln. Fester Grund. Mit Weiden. Daran erkennt ihr sie. Die Dhaig nennen wir sie. Du weißt, was eine Weide ist? Gut! Dort beginnt das Leugfenn. Meidet es! Fahrt entlang der Weideninseln nach Süden und zurück nach Osten. Ist ein Halbkreis fast. Wenn diese Inseln enden,
seid ihr beinahe dort. Eine Insel unter vielen kleinen, nördlich der Dhaig. Aber sie ist wieder anders. Hoch, nackt. Manchmal ist Rauch darüber. Der alte Dwailis macht gerne Feuer. Findest du das? Schaffst du das, Nehis?«
Maru nickte stumm. Es klang nicht so schwierig. Wika sah sie mit grimmiger Miene an. Sie setzte an, etwas zu sagen, zögerte, seufzte und kam wieder viel zu nah an Maru heran. Sie legte ihre Hand auf Marus Schulter und sah ihr tief in die Augen. Ihre harten Züge wurden plötzlich weich. »Eines noch, Nehis, will ich dir sagen«, begann sie. »Dwailis. Er ist ein alter Narr, aber er ist auch mehr.«
»Ich weiß«, erwiderte Maru, »er ist ein Maghai, nicht wahr?«
Wika schnaubte verächtlich. »Offensichtlich ist das, oder? Wenigstens für unsereins. Aber das heißt für dich Gefahr, Nehis!«
Und als Maru sie verständnislos anstarrte, fuhr Wika fort: »Schau, Nehis. Habe viel nachgedacht, seit ich dich sah. Dein Erbe, dein Blut, deine Stärke. Deine Herkunft vor allem. Deine Eltern, Nehis. Maghai ist verboten, Kinder zu zeugen. Da gibt es Eide, mächtige Eide und Zauber.«
Maru hörte zu. Jalis hatte auch etwas in der Art gesagt. Er hatte ihr erklärt, dass die Bruderschaft fürchtete, dass sonst auch Kinder ohne die Gabe das geheime Wissen von ihren Vätern erfahren würden. Dass Menschen, denen es einfach nicht bestimmt war, Maghai zu sein, mit diesem Wissen Unheil anrichteten. Irgendetwas hatte sie an dieser Begründung immer gestört. Würde sie nun mehr erfahren?
»Du weißt, dass sie Kinder nur nach ihrer Begabung in die Lehre nehmen? Dass sie sie auch manchmal rauben? Kennst das Kinderlied vom Schwarzen Maghai, Nehis? Gut. Jeder kann mit der Gabe geboren werden. Bauernsohn, Fürstenkind. Ein Geschenk der Götter, bei uns Kräuterfrauen. Oder ein Fluch, bei den Maghai. Hörst du zu? Gut. Rücksichtslos sind sie, die Maghai, alles
ordnen sie ihren Zielen unter. Eifersüchtig sind sie auch. Hüten große und kleine Geheimnisse, die Narren. Vor allem aber haben sie Angst, Nehis.«
»Die Maghai? Aber wovor denn?«
»Die Maghai!«, bekräftigte die Alte. »Die Angst zerfrisst sie. Was, wenn einer kommt, dem die Götter die Gabe in die Wiege legen und der sie erbt von einem, der schon stark war? Doppelt beschenkt, Nehis! Das dulden sie nicht. Können sie nicht. Deshalb die Eide. Deshalb die Verbote, die Zauber.«
Ganz langsam verstand Maru, was die Kräuterfrau meinte. »Du glaubst, ich habe...«
»Du hast die Gabe zweimal erhalten, Nehis. Das glaube ich. Aber sicher weiß ich es nicht. Da ist ein Schleier vor deinem Schicksal, deiner Bestimmung. Dein Vater, er muss ein starker Maghai sein. Hat sich und dich verborgen.«
Dann stimmte also, was Jalis vermutet hatte. Aber er hatte ihr nicht alles erzählt. Doch was bedeutete das nun? Was wusste Wika?
Die Kräuterfrau sah auf einmal sehr müde aus. »Ach, Nehis«, sagte sie seufzend, »du bist, was nicht sein darf. Die Bruderschaft wird dich suchen, dich töten, wenn sie von dir erfährt.«
»Aber vielleicht bin ich gar nicht so begabt«, rief Maru verzweifelt.
Wika lachte meckernd. »So ist es gut! Leugne es, Kind, verbirg es. Schnell lernst du! Jeder Maghai kann dein Todfeind sein.«
Maru schwieg betroffen. In ihrem Inneren war Leere. Noch mehr
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