Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
die Blutrinne«, erklärte er.
Maru sah ihn entsetzt an. Sie hatte fast vergessen, welchem Zweck diese Insel diente.
»Wie kalt er ist«, murmelte der Blinde nachdenklich.
»Was ist das hier?«, fragte Bolox. Er hob ein Flechtwerk aus starken Zweigen auf. Gegerbtes Leder war darüber gespannt.
Keiner von ihnen hatte so etwas schon einmal gesehen.
»Wie sieht es aus?«, fragte Biredh.
»Es ist wie ein zu groß geratener Korb, drei Schritte im Durchmesser, sehr leicht, geflochten aus Weide und mit Leder bespannt. Und hier ist noch eines von gleicher Art.«
»Das ist für das Opfer«, erklärte Biredh. »Es wird darin eingeschlossen und auf den Fluss gesetzt.«
»Welchen Sinn soll das haben?«, fragte Bolox verwundert.
»Es schützt die Unglückliche vor den Flussechsen, aber es ist kein Hindernis für die Erwachte.«
Bolox ließ den Korb angewidert fallen.
Biredh fuhr ungerührt fort: »Ich nehme an, du wirst auch einen geweihten Kelch aus Stein finden. Darin wird das Blut des Opfers aufgefangen und später auf der Außenhaut des Seelengefährts aufgetragen.«
»Das sind grausame Bräuche, die diese Sumpfmenschen pflegen. Wir Farwier würden uns eher selbst zerreißen, als die Unseren wilden Bestien zum Fraß vorzuwerfen.«
»Früher waren die Zeiten weit finsterer, als sie es heute sind, Bolox von den Farwiern, auch wenn du es dir nicht vorstellen kannst.«
»Ich kann und will es nicht, Erzähler.«
Vylkas, der sich an einen Baumstamm ausruhte, spuckte, als wolle er unterstreichen, was Bolox gesagt hatte, verächtlich auf den Boden.
Meniotaibor hatte mit Ulat und Tasil inzwischen die nähere Umgebung des Opfersteins erkundet. »Er ist nicht hier«, rief er, »dieser verfluchte Tempel ist nicht hier!«
»Geduld, Iaunier, Geduld«, sagte Tasil. »Wir werden ihn schon finden.« Er lächelte, aber es sah angespannt aus.
»Und warum bist du dir da so sicher, Urather?«
»Ich kann das Gold fast schmecken. Es ist hier.«
Tasil hatte das Wort gesagt: Gold. Es war wie ein giftiger Stachel,
der sich den Männern in die Gedanken bohrte. Gold! Es musste irgendwo hier sein. Opferstein hin oder her, sie waren nicht hier, um sich alte Steine anzusehen. Nun schwärmten sie doch aus, und begannen jeden Stein umzudrehen und hinter jedem Busch nachzusehen. Selbst Vylkas, der kaum laufen konnte, suchte mit. Biredh und Maru blieben zurück. Sie fanden einen Platz auf einem tief hängenden starken Ast, der vom dichten Dach des Baumes weitgehend trocken gehalten wurde.
»Glaubst du, dass sie die kleine Lathe doch noch opfern werden?«, fragte Maru den Alten. Der Gedanke ließ sie nicht los.
»Nicht, wenn sie klug sind und auf Wika hören.«
Maru dachte über Biredhs Antwort nach. Sie war schlicht, aber sie enthielt zwei Bedingungen.
»Taiwe ist ein kluger Mann«, sagte sie, um sich selbst Mut zu machen.
»Das ist er, ohne Zweifel, Maru Nehis, aber leider verstehen er und Wika sich nicht besonders gut.«
»Wie das?«, fragte Maru erstaunt.
»Das ist eine lange Geschichte. Wenn ich mich recht erinnere, hat sie vor bald fünfzig Jahren begonnen, als beide noch jung waren.«
Maru konnte sich weder die Kräuterfrau noch den Ältesten als junge Menschen vorstellen. »Kannst du sie mir erzählen? Ich will etwas anderes hören als immer nur Gold, Gold, Biredh.«
»Vielleicht, Maru Nehis, haben wir wirklich ein wenig Zeit. Aber die Geschichte von Taiwe und Wika ist noch nicht zu Ende, deshalb kann ich sie noch nicht vortragen.«
»Schade, ich wüsste gerne mehr darüber«, sagte Maru enttäuscht.
»Nun, stell dir einfach vor, dass sie in ihrer Jugend einander sehr zugetan waren, aber ihre Lebenswege führten sie auseinander und nicht zusammen. Es gab Versprechen und Entscheidungen,
die ihnen im Wege standen, und da war noch jemand, der sich einmischte, obwohl er sich besser herausgehalten hätte. Aber das konnte er wohl nicht, denn er verfolgte eigene Ziele.«
»Aber wer war dieser Unselige? Und warum konnten sie diese Hindernisse nicht überwinden?«
»Das eben kann ich noch nicht sagen, Maru Nehis, deshalb muss ich hier schweigen.«
»Dann erzähle etwas anderes, Biredh«, forderte Maru. Sie hörte die Rufe der Söldner. Es klang nicht, als hätten sie etwas gefunden.
»Jetzt nicht, Maru Nehis. Lass uns lieber gemeinsam dem Regen lauschen und dem traurigen Gesang der Unken. Wusstest du, dass man sich erzählt, dass jede dieser Unken einst ein Bewohner der Goldenen Stadt war?«
»Wirklich?«
Vielleicht würde
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