Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
entsetzt.
»Siehst du ihn irgendwo?«
Maru wurde heiß und kalt. Sie hatte ihn allein gelassen. Vielleicht war er gestürzt und lag jetzt draußen hilflos im Morast. »Wir müssen ihn suchen«, rief sie.
»Wir?«, fragte der Akkesch erstaunt.
Plötzlich stand der Dakyl wie aus dem Boden gewachsen vor Maru. »Ich finde ihn«, sagte er mit rauer Stimme. Dann drehte er sich um und verschwand nach draußen.
Maru lief ihm eilig hinterher. Der Regen war noch stärker geworden. Ein Blitz zuckte über den Himmel. Der Dakyl hatte eine Laterne entzündet und hielt den Blick auf den Boden gerichtet. Suchte er eine Spur? Maru hielt das für aussichtslos. Der Boden war aufgeweicht. Hunderte von Menschen liefen hier den ganzen Tag hin und her – wie wollte er da im Schlamm eine einzelne Fährte finden? Wieder blitzte es, und wenige Sekunden später grollte lang anhaltender Donner durch die Nacht. »Hier«, sagte Vylkas und zeigte auf den Boden. Das Licht seiner Lampe war schwach. Maru konnte nicht erkennen, was er meinte. Aber der
Dakyl war sich sicher. Gebückt folgte er einer Spur, die zwischen die Hütten führte. Maru blieb dicht bei ihm. Regen peitschte ihr ins Gesicht. »Was siehst du denn da?«, rief sie, als er immer weiter zwischen die Hütten vordrang. »Stock«, meinte er nur. Ein mächtiger Blitz spaltete den Himmel. »Dort«, sagte der Dakyl und zeigte in die Nacht.
Ja, dort stand eine einsame Gestalt im Unwetter. Es war Biredh, auf seinen Stock gestützt. Er lehnte an dem hölzernen Zaun, der die Insel umgab. Maru rief ihn, doch lauter Donner übertönte ihren Ruf. Das Gewitter schien jetzt direkt über dem Dorf zu sein. Sie liefen zu ihm. »Biredh!«, rief sie noch einmal.
Er antwortete nicht.
»Was machst du hier?«, fragte Maru. Biredh drehte sich nicht zu ihr um, seine leeren Augenhöhlen starrten durch eine Lücke im Zaun hinaus auf den Strom.
»Ich lausche dem Fluss«, sagte er schließlich.
»Bei diesem Unwetter?«, rief Maru. Sie musste sich anstrengen, um den prasselnden Regen zu übertönen. Die Laterne des Dakyl verlosch.
»Bei jedem Wetter, Maru Nehis. Hörst du es nicht?«
»Nein, ich glaube, meine Ohren sind voller Wasser«, rief sie verdrossen. »Lass uns in unsere Unterkunft gehen. Wir holen uns sonst noch den Tod.«
»Der Krieg ist im Fluss«, sagte Biredh.
»Was?«, rief Maru.
Ein langer Blitz zerriss die Nacht. Maru konnte durch den Zaun sehen, wie hunderttausende Tropfen auf dem schwarzen Strom tanzten. Und da war noch etwas. Mehrere helle Dinge, die im Wasser trieben. Sie waren fast weiß, und das Leuchten des Blitzes dauerte lange genug, um Maru erkennen zu lassen, was sie waren. Der Dakyl presste sein Gesicht an einen Spalt im Zaun. Ein erneuter Blitz erhellte die Nacht. Der Donnerschlag erfolgte
fast gleichzeitig. Als er verebbte, sagte Vylkas nur ein Wort: »Leichen.«
Maru nickte, ihr war flau geworden. Ein halbes Dutzend toter Menschen trieb den Fluss hinab. Sie glaubte sogar, einen Geruch von Verwesung wahrzunehmen.
»Strydh ist auf dem Weg hierher, Maru Nehis«, sagte Biredh, »und er schickt seine Boten, ihn anzukündigen.« Er schüttelte den Kopf, lauschte und sagte: »Eine böse Nacht, voller Tod und Schatten.« Und dann drehte er sich um und ging davon.
Maru folgte ihm.
Als sie endlich wieder ihre Herberge erreichten, erwartete Tasil sie mit einem Grinsen: »Du kannst wohl nicht genug von diesem Wetter bekommen, Kröte, wie?«
Biredh ging grußlos an ihm vorüber. Maru war nicht nach Scherzen zumute. »Da treiben Leichen im Fluss«, sagte sie leise. Das Bild der weißen Körper im schwarzen Wasser ging ihr nicht aus dem Kopf.
Tasils Grinsen verlosch. »Leichen?«, fragte er mit einem Stirnrunzeln.
»Sieben«, sagte der Dakyl, der hinter Maru eingetreten war, »aber keine Flussechsen.«
»Seltsam«, meinte Tasil nur.
Maru lief ein Schauer über den Rücken. Die Flussechsen! Vylkas hatte Recht. Die toten Körper mussten doch eine willkommene Beute für die gefräßigen Räuber sein. Aber sie hatten sich nicht gezeigt.
»Ein böses Zeichen«, sagte der Dakyl, als hätte er ihre Gedanken gelesen, und er berührte Stirn und Brust in einer seltsamen Geste. Dann verschwand er ohne ein weiteres Wort in seinem Verschlag.
Meniotaibor hatte dem kurzen Gespräch gelauscht. »Die Dakyl
glauben, dass sie mit dieser Geste das Unheil von Kopf und Herz fernhalten«, erklärte er grinsend. »Sie haben viele seltsame Bräuche da, in den Wolfsbergen.«
»Vielleicht hilft
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