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Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin

Titel: Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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Blut, Maru. Gib es mir.«
    »Aber warum, Utukku? Warum hast du sie aufgeweckt?«
    Der Daimon schwieg eine kurze Weile. Wären die beiden brennenden Augen nicht gewesen, hätte Maru glauben können, er sei verschwunden. Dann sagte er: »Ein Dorf. Wie dieses.«
    Es war wie früher: Utukkus silberne Stimme war vom Plätschern des Flusses kaum zu unterscheiden, und seine Worte waren ohne erkennbaren Zusammenhang. Dennoch war etwas anders, etwas, das deutlich fühlbar, aber schwer zu beschreiben war. In Serkesch, da war er ein blasser, kraftloser Schatten gewesen, nebelhaft und unwirklich. Jetzt war er wirklich , selbst in der Finsternis fühlte sie seine Stärke. Das ängstigte sie. Sie wusste nichts zu sagen, und so schwieg sie. Dann fuhr der Daimon fort: »Ich habe es dir gezeigt.«

    Maru wusste plötzlich, was er meinte. Als sie ihm ihr Blut gegeben hatte, war eine Flut von Bildern auf sie eingestürmt, ungeordnet, wild, aber sie hatte keines vergessen. Eines hatte ein brennendes Dorf gezeigt, an einem Fluss, an dessen Ufer fremdartige Bäume wuchsen. Krieger zerrten Menschen aus Hütten. Und Utukku saß im Fluss und sah zu.
    »Mehr. Damit du es verstehst. Ich kann es dir zeigen«, flüsterte die silberne Stimme.
    Maru schüttelte den Kopf. Sie war sicher, dass der Daimon das auch in dieser lichtlosen Nacht sehen konnte.
    »Ich will gar nicht mehr sehen«, sagte sie. Das stimmte, die Gewissheit, dass Utukku die Schläferin geweckt hatte, war mehr als genug für eine Nacht. Aber es war noch schlimmer. Ein Verdacht keimte in ihr auf, noch war es nur eine Frage: Ob er die Awathani auch hätte wecken können, wenn er ihr Blut nicht bekommen hätte? Sie fürchtete sich vor der Antwort »Ich kann sie fernhalten, Maru Nehis.«
    Maru schwieg. Konnte er das wirklich? Es klang verlockend, im ersten Augenblick. Aber er würde das sicher nicht umsonst tun.
    »Dein Blut. Maghai-Blut, Maru Nehis. Die Kraft.«
    Las er ihre Gedanken? Und wenn sich die Awathani von diesem Dorf fernhielt, dann musste sie anderswo ihren Hunger stillen. Das konnte nicht die Lösung sein. Und der Daimon – was hatte er vor? Wenn er sie wirklich zähmen konnte – was würde die Awathani anrichten, wenn er sie lenkte?
    »Sie ist nicht hier«, sagte er. »Heute nicht. Aber morgen?«
    Das war eine unverhohlene Drohung.
    »Utukku!«, rief sie. »Das darfst du nicht!«
    Aber er antwortete nicht. Seine Augen schlossen sich. Und dann war er fort. Maru konnte es fühlen. Schritte näherten sich, begleitet vom leichten Takt eines Stockes.
    »So spät noch auf, Maru Nehis?«, fragte Biredh.

    Sie drehte sich um. Es hatte aufgehört zu regnen, und am Himmel zeigten sich einzelne Sterne.
    »Ich konnte nicht schlafen«, sagte sie.
    »Und, was sagt er?«, fragte Biredh.
    »Wer?«, fragte Maru erschrocken. Hatte der Blinde den Daimon bemerkt? Der unangenehm süßliche Geruch hing immer noch in der Luft.
    »Dhanis. Hast du nicht gerade mit ihm gesprochen?«
    »Nur ein Gebet, Biredh, das andere überlasse ich dir. Du verstehst ihn viel besser als ich«, seufzte Maru erleichtert.
    »Mag sein«, erwiderte der Erzähler, »doch nicht immer höre ich gerne, was er zu berichten hat.«
    »Was sagt er denn?«, fragte Maru, um abzulenken.
    »Er weiß nur von Krieg und Tod.«
    Plötzlich kam ihr ein Bild wieder in den Sinn, das sie in der vorigen Nacht gesehen hatte. Der Blitz, der den Himmel spaltete, und die weißen Leiber, die in seinem Licht den Fluss hinabtrieben. Sie hatte den ganzen Tag nicht mehr daran gedacht. »Du meinst die Toten von gestern Nacht?«
    Biredh seufzte. »Die Toten von gestern«, wiederholte er bitter. »Hast du gehört, dass heute noch jemand nach ihnen fragt? Schon ist ihr Sterben vergessen. Zu viele schlimme Dinge geschehen, und Dhanis hat wenig Hoffnung, dass sich das ändern wird.«
    Maru schluckte. Der Alte hatte Recht. Niemand, auch sie nicht, fragte noch nach den Toten, die sie in der vorigen Nacht so erschreckt hatten. Es gab da ein Sprichwort in Akyr: Der Krieg geht immer weiter, und nie schaut er zurück . Allmählich verstand sie, was damit gemeint sein mochte.
    »War es denn jemals anders?«, fragte sie betreten.
    Biredh lachte plötzlich. »Was redest du so altersweise daher, du Kind? Überlasse das doch besser Greisen wie mir. Du kannst noch viele Tage erleben, die fröhlicher, heller und besser sind als diese.«
    Maru seufzte. Vielleicht hatte Biredh Recht, und bessere Tage würden kommen, aber es war schwer vorstellbar. Und es war auch

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