Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
Der Schab starrte herüber, dann hob er den
rechten Arm und gab jemandem ein Zeichen, den sie nicht sehen konnte.
Im hohen Schilf, rechts und links des Dammwegs, tauchten plötzlich die Köpfe vieler Männer auf. Sie ließen lange Lederbänder kreisen. Ein seltsames, schwirrendes Geräusch erklang.
»Achtung! Steine!«, rief Ulat und riss seinen Schild hoch.
Steinschleuderer! Sekunden später regnete es hühnereigroße Steine auf das Dorf hinab. Maru drückte sich dicht an den Zaun. Sie packte eine verdutzte Frau, die ratlos neben ihr stand, und zog sie schnell in Deckung. Menschen schrien auf. Maru sah eine Greisin, die an der Schulter getroffen wurde und zusammenbrach. Ein Kind stand allein auf dem Weg und weinte. Rema tauchte aus dem Nichts auf, schnappte es, und trug es davon.
»Unter die Hütten, unter die Hütten!«, brüllte Tasil.
»Wo kommen die denn her?«, rief Meniotaibor. Maru war das gleich. Sie blieb in der Deckung des Zauns. Die Frau neben ihr wollte davonlaufen. Sie hielt sie fest. Ein zweiter Steinschauer rauschte über den Fluss. Dorfbewohner, die den Verletzten hatten helfen wollen, wurden nun selbst getroffen. Männer und Frauen rannten kopflos durcheinander, Kinder weinten, und Verwundete jammerten.
»Die Imricier!«, rief Tasil. »Sie kämpfen oft mit Steinschleudern.«
Also hatte die Eschet die Söldner aus den Bergen getroffen und gleich angeworben. Maru fühlte sich grauenvoll. Der Schab war ihretwegen zurückgekommen. Wenn hier Menschen starben, war es ihre Schuld. Sie spähte durch den Spalt. Dort, im hohen Schilf, standen die Imricier, kleine, drahtige Männer aus den Bergen, und ließen ihre Schleudern kreisen. Sie hatten nichts, um sich zu wehren. Ulat, der Akkesch, lief hinaus auf den freien Platz, seinen großen Schild schützend über den Kopf erhoben. Er gab einer verletzten Frau und ihrem Säugling Deckung, als der dritte
Steinschauer niederging. Kaum ließ der Hagel nach, als Bolox neben dem Akkesch auftauchte. Gemeinsam schafften sie Frau und Kind unter die nächste Hütte. Dann hörten die Schauer auf, aber das machte es nicht besser, denn nun kamen die Steine einzeln und unvorhersehbar. Überall schlugen sie ein, auf den Dächern, auf den Wegen, sie prasselten gegen den Zaun und die Hüttenwände. Niemand traute sich noch aus der Deckung.
»Ihr müsst sie reinlassen, ihr müsst sie reinlassen«, zeterte Hana, der Edaling.
»Wer die Brücke auch nur anfasst, stirbt«, brüllte Meniotaibor.
Der Himmel hatte sich verfinstert. Blitze zuckten aus tief hängenden Wolken, und erste schwere Tropfen fielen. Da ertönte ein einzelner schriller Schrei in der Ferne. Maru lief es kalt über den Rücken. Sie hatte das schon einmal gehört: Es war der Todesschrei eines Menschen. Ein Hornsignal erschallte. Sie spähte vorsichtig hinaus. Dort, wo der Damm aus dem Wasserwald hervorkam, tauchten plötzlich zahllose Krieger auf. Zwischen den Bäumen stieg ein Pfeilhagel auf und ging auf die überraschten Imricier nieder. Die meisten von ihnen hatten keinen Schild, um sich zu schützen. Verwundete stöhnten auf, andere warfen sich zu Boden, um den Pfeilen zu entgehen.
»Zu mir, Männer, zu mir!«, rief der Schab aus Ulbai. Er suchte hinter dem aufgebrochenen Tor Deckung. Durch das Schilf schwärmten die Angreifer aus. Axtkämpfer stürmten den Dammweg entlang. Die Akkesch kämpften sich in ihren schweren Rüstungen durch den Morast. Sie wollten sich bei ihrem Schab sammeln, aber sie kamen nur quälend langsam voran, zu langsam. Die vier, die es schafften, versuchten einen Schildwall zu bilden. Pfeile rauschten durch die Luft. Maru zuckte vom Spalt im Zaun zurück. Die Schützen hatten schlecht gezielt. Viele Geschosse bohrten sich in die Holzwehr, einige fanden auch Lücken im Zaun und
flogen hindurch. Sie sah einen Fischer, der mit einem Pfeil im Oberschenkel zu Boden taumelte.
»Bleib in Deckung, Kröte«, rief Tasil ihr zu. Sie nickte stumm. Draußen schrien Männer, Waffen klirrten, und Schilde krachten aufeinander. Noch einmal wagte Maru einen Blick durch den Spalt. Der dünne Schildwall der Akkesch hatte dem Ansturm nicht standgehalten. Ihr Schab lag bereits tot am Boden. Sie sah Imricier, die ins Wasser sprangen, um sich schwimmend zu retten, und Akkesch, die kopflos versuchten, durch den Sumpf zu entkommen. Ihre schwere Rüstung wurde ihnen dort zum Verhängnis. Fast bis zur Hüfte im Morast einsinkend, wurden sie von ihren Verfolgern schnell eingeholt und gnadenlos
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