Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
gespannt hatte. Und Sie durfte sich nicht zeigen. Mehitus hoffnungsvolle Stimmung verflog. Sie waren seit Wochen unterwegs und weit gekommen. Zweimal hatten sie das offene Schlangenmeer überquert, ohne Sturm, ohne Mastbruch, ohne auch nur einen einzigen Mann zu verlieren. Die Bäuche seiner Schiffe waren schwer vom Weizen aus Cautwa, dem gro ßen Hafen des Silberlandes. Die Krieger, die sie angeworben hatten, waren begierig auf den Kampf und, wie sie nun bewiesen, geschickt mit Messer und Schwert. Waren sie erst einmal im sicheren Hafen, würde man ihn wie einen Helden feiern. Aber noch war es ein weiter Weg. Ohne Verluste würde er nicht davonkommen, das wusste er. Die Serkesch hatten zwar keine hölzernen Schiffe, und ihre armseligen, schlecht gebauten Schilfboote waren ihnen unter dem Hintern verfault, aber sie hatten Bögen und Brandpfeile und konnten ihnen auch vom Ufer aus schwer zusetzen. Mehitu nagte an seiner Unterlippe. Saran, der Kahir der Hattu, hatte angeboten, nach dem Kappen der Seilsperren mit einem Teil seiner
Männer das Lager des Feindes anzugreifen und Verwirrung zu stiften, aber Mehitu hatte das Angebot abgelehnt. So ein Angriff auf die Übermacht mochte ihnen helfen, aber für die Hattu wäre es glatter Selbstmord. Sapi ließ wieder einen leisen Pfiff hören. Ein Baumstamm kam den Fluss hinunter. Zwei Männer saßen darauf. Mehitu kniff die Augen zusammen. Im Wasser spiegelte sich das Abendrot, und der Stamm mit den beiden Männern steckte wie ein schwarzer Dorn in diesem friedlichen Bild. Als sie näher kamen, erkannte er die beiden als Hattu. Sie lenkten den Stamm geschickt mit den bloßen Händen an die Garbe heran. Sapi warf ihnen ein Seil zu.
»Was gibt es, Krieger der Hattu?«, rief Mehitu sie leise an.
»Die Serkesch sind Narren«, erwiderte der Erste. »Sie schlafen und hatten nur wenige Wachen am Fluss. Und jetzt gar keine mehr. Wir haben drei Seilsperren gefunden und durchtrennt. Der Fluss ist also frei. Saran, unser Kahir, schlägt vor, dass ihr uns oberhalb des Lagers an Bord nehmt. Sollte der Feind doch noch erwachen, werden wir ihn aufhalten.«
»Die Hattu sind unvergleichlich tapfer und geschickt. Übermittelt dem Kahir meinen Dank und meine Bewunderung.«
»Wir sind Krieger«, rief der Hattu und stieß den Baumstamm vom Schiff ab.
»Was sollte denn das jetzt heißen?«, fragte Sapi, als sie außer Hörweite waren.
Mehitu zuckte mit den Achseln. »Wahrscheinlich, dass sie unseren Dank nicht brauchen.«
»Sie kriegen ja auch genug Silber«, brummte Sapi.
»Nur wenn Uo, der Gott des Todes, sie nicht vor Ende dieses Krieges abberuft. Und gerade wagen sie ihr Leben für das deine, Mann«, wies ihn Mehitu zurecht. »Achte lieber auf den Strom. Das geht mir alles zu glatt.«
»Ich gehorche«, antwortete Sapi verdrossen.
Mehitu schickte ein stummes Gebet zu den Hütern. Sie konnten es schaffen, wenn Fahs ihnen den Südwind ließ, w enn die Hattu wirklich alle Sperren gekappt hatten und wenn die Serkesch nicht doch erwachten. Es gab da noch etwas, das nicht geschehen durfte, aber den Gedanken daran verschloss er tief in seinem Inneren. Es verging das Sechstel einer Stunde. Dann noch ein Sechstel. Er konnte Brandgeruch von Lagerfeuern riechen. Sie waren jetzt ganz nah an dem besetzten Dorf. Quälend langsam schoben sich die Schiffe über den Strom. Unter Deck ächzten die Ruderer. Die Dämmerung war endgültig der Dunkelheit gewichen. Am Ufer loderten die verwaisten Wachfeuer der Serkesch. Blieben sie wirklich unbemerkt? Dann konnten sie das Wunder vollbringen. Mehitu spuckte wieder über die Schulter ins Wasser. Er wollte es nicht beschreien. Das Glück war launisch. Dreißig stolze Schiffe hatten noch vor einem Jahr im Hafen von Ulbai gelegen. Und wo waren sie jetzt? Sie waren auf dem Schlangenmeer Stürmen zum Opfer gefallen oder waren im Dhanis auf Grund gelaufen, weil die Schiffsführer aus Angst zu dicht unter dem Ufer gesegelt waren. Allein fünf weitere hatten die Serkesch mit Brandpfeilen angesteckt. Vor einem halben Jahr war Mehitu nur ein einfacher Elepu gewesen, der Schiffsführer der Garbe . Bel Elepai war er nur geworden, weil die älteren Schiffsführer alle tot – gefallen oder ertrunken – waren. Er hatte sie sterben sehen. Jedenfalls die meisten. Auf jeder Reise seit Beginn des Krieges war er dabei gewesen. Das Glück war ihm bislang treu geblieben, aber noch keine Flotte war mit allen Schiffen zurückgekehrt. Er versuchte, diesen düsteren Gedanken
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