Die Tochter des Magiers
übermütiges
Grinsen zu verbergen. »Und was machen wir als Zugabe?«
ELFTES
KAPITEL
D er Herbst in New Orleans war warm und
hell, die Tage wurden allmählich kürzer, aber Abend für Abend boten die
Sonnenuntergänge ein spektakuläres Schauspiel in leuchtenden Farben.
Max starb an einem dieser prachtvollen Abende in seinem
eigenen Bett, während eine rubinrote Sonne am Horizont versank. Seine
Familie war bei ihm, und wie LeClerc bei einer der unzähligen Tassen
Kaffee meinte, die sie im Lauf dieser Nacht tranken, war das die beste
Art zu sterben.
Roxanne fühlte sich ein wenig getröstet, daß Luke den Stein
der Weisen in die zerbrechliche Hand ihres Vaters gelegt hatte, so daß
er ihn bei sich hatte, als er von einer Welt in die andere ging.
Es war weder ein leuchtender Edelstein noch ein funkelndes
Juwel, sondern ein schlichtes graues Felsstück, das im Laufe der Zeit
rund und glatt geworden war. Durch wie viele Hände mochte er
jahrhundertelang gewandert sein?
Falls er irgendeine Macht besessen hatte, war nichts davon zu
spüren gewesen. Doch sie hoffte, daß Max sie gefühlt hatte.
Sie begruben ihn mit dem Stein an einem hellen Novembermorgen
auf dem Friedhof der Stadt, die er geliebt hatte. Der Himmel war
strahlend blau. Ein Dutzend Geiger spielten Musik von Chopin.
Max hätte dunkle Trauerkleidung und Orgelmusik verabscheut.
Hunderte hatten sich versammelt, um ihm die letzte Ehre zu erweisen:
Menschen, die irgendwann einmal seinen Lebensweg gekreuzt hatten. Junge
Magier, die am Beginn ihrer Karriere standen. Alte Kollegen, deren
Hände und Augen sie langsam im Stich ließen. Irgend jemand ließ ein
Dutzend weißer Tauben fliegen, die gurrend über sie hinwegflatterten
und die Illusion erzeugten, als trügen sie Max' Seele mit sich davon.
Roxanne fand diese Geste wunderschön.
Max' letzter Auftritt war, wie er es erwartet haben würde,
eine erstklassige Vorstellung.
In den nächsten Tagen fühlte Roxanne sich
seltsam verloren. Ihr Vater war der wichtigste Mensch in ihrem Leben
gewesen. Während seiner Krankheit hatte sie keine andere Wahl gehabt,
als die Stelle des Familienoberhaupts einzunehmen. Aber wenigstens war
er körperlich noch dagewesen, so daß sie sich hatte einbilden können,
daß er ihr zur Seite stand. Sie wünschte, er hätte ihren letzten
Triumph noch miterlebt. Der Skandal um Samuel Wyatt, den ehemaligen
Senatskandidaten, der jetzt wegen schweren Diebstahls und etlicher
anderer Delikte angeklagt war, beherrschte immer noch die Schlagzeilen.
Man hatte in seinem Haus in Maryland noch weitere Beweise
gefunden – ein kleines Gerät, das aussah wie eine
Fernbedienung oder ein Taschenrechner, einen Satz Einbruchwerkzeuge aus
rostfreiem Stahl, einen Glasschneider, eine motorbetriebene Armbrust,
mit der man einen Enterhaken abschießen konnte, einen zweiten goldenen
Manschettenknopf mit den eingravierten Initialen SW und vor allem ein
Tagebuch, in dem über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren gewissenhaft
sämtliche Diebstähle, die er begangen hatte, aufgezeichnet waren.
Jake hatte einen Monat gebraucht, um es in Sams Handschrift zu
verfassen. Aber er hatte hervorragende Arbeit geleistet.
Schweizer Bankkonten, auf denen sich mehr als eine
Viertelmillion Dollar befand, waren ebenfalls ausfindig gemacht worden.
Luke stellte befriedigt fest, daß sich seine Investition gelohnt hatte,
mehr als gelohnt.
Roxanne hatte anfänglich Mitleid mit Justine empfunden, doch
dann las sie erleichtert, daß Sams ergebene Gattin, die von jedem
Verdacht der Mittäterschaft freigesprochen worden war, bereits die
Scheidung eingereicht hatte und nun in einem Chalet in den Schweizer
Alpen lebte.
Sam erklärte mittlerweile nicht mehr, Präsident werden zu
wollen. Er behauptete vielmehr, er sei der Präsident.
Während die Psychiater ihre Untersuchungen fortsetzten,
leitete Sam aus einer Gummizelle heraus seine Regierungsmannschaft.
Irgendwie, fand Roxanne, war dieser Ausgang der Geschichte
gerecht.
Doch das lag nun alles hinter ihr. Dieses Kapitel war
endgültig abgeschlossen. Ein Dutzend neuer Wege breitete sich vor ihr
aus, und sie wußte einfach nicht, welchen sie einschlagen wollte.
»Es wird langsam kühl hier draußen.« Lily kam in den Hof. »Du
solltest dir eine Jacke überziehen.«
»Ist nicht nötig.« Roxanne rückte ein Stück auf der Bank
beiseite und legte Lily einen Arm um die Schulter, als sie sich zu ihr
setzte. »Ich liebe dieses Plätzchen. Solange ich mich erinnern kann,
habe ich
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