Die Tochter des Münzmeisters
»Kannst du nicht morgen zu uns kommen? Ich muss dich unbedingt sprechen!«
Goswin nickte unmerklich, aber seine Antwort ging in den Jubelrufen der anderen unter.
Plötzlich spürte Hemma, dass jemand sie beobachtete, und sah schnell zu dem Sohn des Münzmeisters hinüber, der jedoch völlig gebannt auf den Feuerspucker starrte. Wie magisch angezogen wanderte ihr Blick weiter zu den Bediensteten, was sie bisher tunlichst vermieden hatte, und direkt in die Augen von Esiko. Schnell senkte sie den Kopf und fächelte sich Luft zu, um die aufsteigende Hitze in ihrem Körper zu mildern.
Den Abschluss der Vorführung bildete ein älterer Mann mit einer Schalmei, zu dessen Musik eine schwarzhaarige Frau einen verführerischen Tanz darbot. Hemma beobachtete Goswin, da sie neugierig war, ob diese Darbietung irgendeine Wirkung auf ihn zeigte. Sie konnte keinerlei Regung in seinem gut geschnittenen Gesicht entdecken. Bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Darbietung zuwandte, wagte sie noch einen schnellen Blick auf Esiko. Leicht verärgert musste sie feststellen, dass die Bewegungen der Frau ihre Wirkung auf ihn anscheinend nicht verfehlten, denn der ehemalige Bergmann starrte wie hypnotisiert zur Mitte des Hofes. Neben ihm saß Randolf, der ebenfalls sehr von dem Tanz angetan zu sein schien. Allerdings wirkte er ein wenig verlegen, wenn auch nicht ganz in dem Maße wie Clemens. Hemma stellte amüsiert fest, dass der Sohn des Münzmeisters nicht zu wissen schien, wohin er denn nun schauen sollte.
Zu ihrer großen Verwunderung genoss auch ihr Vater ganz offensichtlich den Tanz, denn als die Frau endete, spendete er begeistert Beifall und warf ein paar Münzen. Ihrer Mutter war keinerlei Verärgerung darüber anzumerken, was Hemma ganz und gar nicht verstand. Missmutig sah sie zu, wie die Tänzerin lachend die Münzen einsammelte und sich mehrmals verbeugte, um leichtfüßig zu den anderen Spielleuten zurückzulaufen.
Die Anwesenden wirkten sehr zufrieden mit dem gelungenen Abend, denn sie lachten und scherzten miteinander. Gleich darauf gesellten sich die Dienstboten zu dem kleinen Grüppchen, und Hemmas Fingernägel bohrten sich in ihre Handflächen, denn die Tänzerin unterhielt sich angeregt mit Esiko. Die junge Frau musste sich eingestehen, dass er mit Abstand der bestaussehende Mann auf dem Hof war. Vielleicht abgesehen von Goswin und natürlich ihrem Vater. Randolf zählte in ihren Augen nicht dazu, schließlich war er jünger als sie.
Die Prellung an Esikos Kinn war in den letzten Tagen abgeschwollen und nur noch leicht blauviolett verfärbt. Er hatte sich mit einer Hand lässig an der Stallwand abgestützt und widmete seine volle Aufmerksamkeit der hübschen jungen Frau. Der gesamte Hof wurde von Fackeln, die überall in Halterungen an den Wänden steckten, in ein schönes Licht getaucht, was Hemmas schlechtem Gemütszustand nicht gerade förderlich war.
»Wollen wir uns nicht jetzt ein wenig unterhalten?«
Sie erschrak, als Goswins Stimme dicht an ihrem Ohr erklang, und nickte zustimmend.
Alles war besser, als weiterhin hier zu sitzen und den anderen zuzusehen. Denn natürlich war es undenkbar, dass sie sich unter die Spielleute mischte.
»Wo sind Vater und Mutter?«, fragte sie verwundert, als sie ihre Eltern nirgendwo entdecken konnte.
Goswin zeigte aufs Haus. »Sie sind mit dem Anführer der Gruppe und dem Vicedominus ins Haus gegangen.« Hemma sah an der Miene ihres Bruders, dass er sich keinen Reim darauf machen konnte. »Sollen wir zu den Pferden gehen, so wie früher?«, fragte er, und für einen Moment entdeckte Hemma in dem Gesicht des jungen Mannes ihren Bruder aus Kindertagen.
Als Antwort bot sie ihm den Arm, und sie schlenderten gemeinsam zum Stall, wobei sie fast über Brun gestolpert wären, der mit einem Jungen in seinem Alter über den Hof rannte. Hemma erkannte in ihm den Knaben vom Markt, der dort bereits seine akrobatischen Kunststücke gezeigt hatte. Als sie dicht an der gutgelaunten Gruppe der Gaukler und Dienstboten vorbeikamen, hörte Hemma das aufreizende Lachen der jungen Tänzerin. Trotzig hob sie den Kopf ein wenig höher, und gleich darauf schloss Goswin die Stalltür hinter ihr. Der vertraute Geruch der Pferde umhüllte sie, und die Geschwister ließen sich auf einem der Strohballen nieder.
»Nun, was gibt es denn so Dringendes, liebste Schwester?«
Hemma knuffte ihn in die Seite. »Muss ich denn einen dringenden Grund haben, um mal wieder einen Plausch mit meinem Bruder zu
Weitere Kostenlose Bücher