Die Tochter des Münzmeisters
eine Möglichkeit, wenigstens eine Nachricht in die Burg zu schmuggeln«, flehte Irmingard und rang die Hände.
»Selbstverständlich! Dein edler Held fliegt womöglich nachts über die Mauern und nimmt mich auf seinem starken Rücken mit«, spottete Henrika, der die barschen Worte im gleichen Moment leidtaten. »Bitte verzeih, Irmingard,ich war eben ausgesprochen ungerecht«, bat sie deshalb die junge Magd, die ihr in den letzten Tagen eine enge Freundin geworden war.
Seit Irmingard nicht mehr zur Burg musste, hatte sich ihr Äußeres komplett verändert. Die schönen, langen Haare fielen ihr locker über den Rücken und waren nur durch ein Band lose zusammengehalten. Sämtlicher Schmutz war aus ihrem Gesicht und von ihrer Kleidung verschwunden, und statt des weiten grauen Kittels trug sie eine einfache, naturfarbene Kotte, die sie mit einem dünnen Strick in der Taille umknotet hatte, wodurch ihre ansehnliche Figur gut zur Geltung kam.
Henrika wusste genau, was oder vielmehr wer der Grund für diese Verwandlung war, und wünschte ihrer Freundin, dass Guntram die tiefen Gefühle irgendwann erwiderte, obwohl sie sich momentan geringe Hoffnungen machte. Irmingard hatte ihr am gestrigen Abend anvertraut, dass die Frau des Bauern sich von der hohen Mauer der Burg in den Tod gestürzt hatte. Der verzweifelte junge Mann hatte es ihr an dem Abend anvertraut, als er seine Gemahlin gefunden hatte, ohne ihr allerdings den Grund zu nennen.
»Ist schon gut«, meinte die Magd gutmütig und erwiderte die Umarmung herzlich. »Ich verstehe Euch ja! Trotzdem bin ich mir sicher, dass Guntram einen Weg finden wird. Auch wenn ihm ganz bestimmt keine Flügel wachsen«, schloss sie augenzwinkernd.
Henrika verdrehte resigniert die Augen.
»Vor allem müsst Ihr mir versprechen, dass Ihr das Haus nicht mehr verlasst!«, bat Irmingard eindringlich. »Wenn Euch heute früh jemand gesehen hätte.«
Die junge Frau winkte ab, denn sie hielt das Risiko für nicht sonderlich groß. Immerhin trug sie noch ihre graue Verkleidung, auch wenn der Dreck zwischenzeitlichherausgewaschen und der unerträgliche Gestank verschwunden war.
Nachdem Irmingard gegangen war, um Guntram zu suchen, war Henrika wie gewohnt alleine, und sofort erfasste sie die Unruhe, die seit ihrem ungewollt langen Aufenthalt immer mal wieder von ihr Besitz ergriff. Als sie hörte, wie sich leichtfüßige Schritte dem Eingang näherten, ging sie davon aus, dass ihre Freundin etwas vergessen hatte. Umso verblüffter war sie, als sie die Besucherin erkannte.
»Gunhild!«
Mathildas Tochter trat mit grazilen Bewegungen und einem strahlenden Lächeln auf Henrika zu und umarmte sie. »Ich wollte meinen Augen kaum trauen, als ich dich heute früh draußen zufällig gesehen habe. Was machst du hier, und vor allem, warum siehst du so seltsam aus?«
Der perfekte Anblick, den die dunkelhaarige Gunhild bot, rief Henrika ihr eigenes, reichlich ungepflegtes Äußeres deutlich in Erinnerung, und sie fühlte sich noch schäbiger, als es ohnehin schon der Fall war. Sie hatte ihre Halbbase seit deren Flucht mit Folkmar nicht mehr zu Gesicht bekommen und auch keinerlei Nachrichten über ihren Verbleib erhalten. Dem Aussehen nach schien es Gunhild bestens zu gehen.
Sie trug eine schöne blaue Kotte, deren weit auseinanderfallende Ärmel und der breite Halsausschnitt mit einer schwarzen Borte besetzt waren, die wunderbar zu ihrem dunklen Teint passte. Das enggeschnittene Kleidungsstück umschmeichelte ihre gute Figur, die schon immer schmaler gewesen war als Henrikas. Das Blitzen von Gunhilds fast schwarzen Augen gefiel der jungen Frau allerdings überhaupt nicht und bereitete ihr ein seltsames Unbehagen. Trotzdem ließ siees sich nicht anmerken und erwiderte die freudige Begrüßung.
»Das ist eine lange Geschichte, aber zuerst musst du mir erzählen, wie es dir und Folkmar geht. Hat er sich den sächsischen Fürsten angeschlossen?«
Mit einem angewiderten Blick auf die schmutzige Holzbank setzte Gunhild sich vorsichtig auf die Kante und zog Henrika mit herunter. »Meinem Mann«, sie sprach die beiden Wörter so abfällig und mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen aus, dass Henrika aufhorchte, »ist nichts anderes übriggeblieben, nachdem sein Herr Vater ihn praktisch hinausgeworfen hat. Zum Glück hat er auf meinen Rat gehört und ist mit mir nach einer grässlichen Zeit des Umherziehens nach Hoetensleben gereist, wo er dem Northeimer seine Dienste angeboten hat. Ich kann dir
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