Die Tochter des Münzmeisters
Gosenfels, jetzt reicht es mir langsam! Du solltest froh sein, dass du noch unter uns weilst! Und überhaupt, hast du mir nicht immer voller Stolz erzählt, dass dein Vater es mit jedem aufgenommen hat, obwohl er nur noch einen Arm besaß?«, empörte sich Mathilda und befreite sich aus der Umarmung.
Die plötzliche Erinnerung an seinen Vater versetzte Goswin einen Stich, und mit einem Mal hatte er das Bild Gottwalds klar vor Augen. Ein hochgewachsener, stattlicher Mann Anfang vierzig, dessen fehlender Arm ihn im Umgang mit dem Schwert kaum behindert hatte, und auch seine charismatische Ausstrahlung hatte unter dem körperlichen Mangel keineswegs gelitten. Dass Gottwald nach der schweren Verletzung aus einer der Schlachten, die er an der Seite des Kaisers bestritten hatte, eine Zeit der Selbstzweifel durchgemacht hatte, konnte Goswin nicht ahnen, denn sie hatten nie darüber gesprochen.
Nachdenklich folgte Goswin seiner Frau, die mit versteinerter Miene das große Steinhaus mit den zwei Ecktürmen betrachtete, in dem sie nach der Zerstörung ihres eigenen Hofes Zuflucht gefunden hatten. Großzügig und ohne zu zögern hatten Randolf und Betlindis ihnen angeboten, die Gastfreundschaft des Gutes Liestmunde so lange in Anspruch zu nehmen, wie sie wollten. Da alle anderen vor Wochen abgereist waren, hatte Goswin mit seiner Familie das Haus nun praktisch für sich allein.
»Vor vielen Jahren hat meine Schwester mir einmal vorgeworfen, dass ich nicht wisse, was es bedeutet, jemandenso sehr zu lieben, dass es einen verrückt macht, wenn man nicht bei ihm sein kann. Meinen Einwand, dass ich Gott liebe, hat sie mit der Bemerkung abgetan, das sei nicht dasselbe. Ich könne Gott nicht anfassen, hat sie mir erklärt, er halte mich nicht, wenn ich traurig sei, und lache auch nicht mit mir.«
In Mathildas Augen standen Tränen, als sie sich zu ihm umwandte.
»Damals habe ich Hemma nicht verstanden, doch seit ich dich kennengelernt habe, weiß ich genau, wovon sie gesprochen hat«, flüsterte Goswin dicht an ihrem Ohr, bevor seine Lippen die ihren fanden.
»Ich glaube, ich habe vieles nicht begriffen, was sie mir sagen wollte«, murmelte Goswin nach einer Weile und strich Mathilda zärtlich über den Rücken. »Damals bei dem Fest, das meine Mutter aus einer spontanen Laune heraus veranstaltet hat, war auch so ein Moment, in dem sie versucht hat, sich mir zu öffnen. Doch ich war viel zu ignorant, um es zu bemerken.«
»Erzähl mir davon«, forderte Mathilda ihn leise auf, schließlich hatte sie ihren Schwiegervater nie kennengelernt, und das Verhalten Edgithas war ihr gegenüber zwar nicht unfreundlich, aber stets distanziert. Deshalb mochte sie es sehr, wenn Goswin aus der Vergangenheit erzählte und ihr damit nicht nur seinen verstorbenen Vater näherbrachte, sondern ihr auch Seiten an seiner Mutter zeigte, die Mathilda bisher nicht bemerkt hatte.
An dem Abend, nachdem Hemma mit ihrer Mutter auf dem Markt gewesen war, folgte die große Überraschung, denn Edgitha stellte wieder einmal ihr Talent unter Beweis, kurzfristig ein kleines Fest auf die Beine stellen zu können. Auf ihre Einladung hin war der Vicedominus Benno in Begleitung ihres Sohnes Goswin erschienen. Der weltoffene Kirchenmann war solchen Genüssen durchaus nicht abgeneigt. Viele andere Priester oder Angehörige der Kirchenobrigkeit lehnten solche Vergnügungen als gefährlich und lasterhaft ab. Gottwald hingegen freute sich über die unerwartete Abwechslung vom täglichen Einerlei, und sogar das Wetter zeigte sich gnädig, denn die Wärme des Tages hielt sich bis in den Abend hinein.
Die Familie saß mit ihren Gästen im Hof auf hergebrachten Bänken und genoss das Schauspiel, das sich ihnen bot. Auch der Münzmeister Friedebrecht war mit seinem Sohn geladen, und nun hockten sie beide freudig erregt nebeneinander, obwohl Clemens den Blick öfter verstohlen zu Hemma wandern ließ, als dass er bei dem jeweiligen Künstler verweilte. Das Dienstpersonal durfte, bis auf einige wenige bewaffnete Wachen, ebenfalls dem Spektakel beiwohnen. Rufe des Erstaunens und Entzückens, unterbrochen von dem Gekicher einiger Mägde, drangen bis zum Pfalzbezirk.
Hemma saß zwischen ihrer Mutter und Goswin. Es freute sie ungemein, ihren Bruder endlich wiederzusehen, denn obwohl er fast in direkter Nachbarschaft im Stift lebte, trafen sie sich äußerst selten.
Während alle einem Riesen von einem Mann sprachlos zusahen, wie er Feuer spie, flüsterte sie ihrem Bruder zu:
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