Die Tochter des Münzmeisters
Mannes, der wie ein gefällter Baum nach hinten kippte.
Hinter Henrika wurde die Tür aufgerissen, und Guntram stürzte herein. Als er den Wärter bewusstlos amBoden liegen sah, nickte er ihr zufrieden zu. »Langsam bekommt Ihr richtig Übung darin!«
Mit zitternden Fingern griff Henrika nach den Schlüsseln und eilte dicht hinter dem Bauern die Treppe hinunter, die zu den Verliesen führte. Für einen kurzen Moment kam ihr der Gedanke, Magnus Billung ebenfalls zu befreien, aber sie verwarf ihn wieder, da sie kaum mit zwei Gefangenen ohne Probleme bis zum Brunnen gelangen würden.
Zielstrebig marschierte Guntram zu der letzten der drei Türen und trat zur Seite, damit Henrika aufschließen konnte. Doch die Tür klemmte, so dass sie es Guntram überlassen musste, der mit einem kräftigen Ruck den knarrenden Eingang aufzog. Der Schwall fauliger Luft, der ihnen entgegenschlug, war so übelkeiterregend, dass Henrika unbewusst die Hand vor Mund und Nase hielt. Doch als sich ihre Augen an die Dunkelheit des Kellerlochs gewöhnt hatten und sie am Boden eine menschliche Gestalt liegen sah, vergaß sie ihren Ekel und stürzte hinein.
Sie hatten Randolf schrecklich zugerichtet, was selbst in dem Dämmerlicht ohne Mühe zu erkennen war. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht auf der Seite, das seine wirren Haare halb verdeckten. Sein Oberteil hing nur noch in Fetzen am Oberkörper, und der Rücken war über und über mit blutigen Striemen bedeckt. Henrika unterdrückte einen entsetzten Aufschrei, bückte sich und strich dem Schwerverletzten die mit Blut verklebten Haare aus dem Gesicht, während Guntram für einen flüchtigen Augenblick sich selbst dort liegen sah. Ein leichtes Stöhnen entfuhr Randolfs Lippen, und sie schloss dankbar für einen flüchtigen Moment die Augen. Dann flüsterte sie ihm ein paar Worte ins Ohr, ohne zu wissen, ob er sie überhaupt hören konnte, erhobsich und trat zur Seite, um Guntram das Feld zu überlassen.
Als würde seine Last nicht mehr wiegen als ein Kind, ging der Bauer den feuchten Gang zurück und die Treppe hinauf, wo er darauf wartete, dass Henrika ihm die Tür öffnete. Der bewusstlos geschlagene Wärter lag zu ihrer Erleichterung noch immer reglos am Boden. Erneut betete sie im Stillen darum, dass niemand sie aufhalten möge, obwohl sie für alle erkennbar einen Gefangenen befreit hatten. Ein undefinierbares Murmeln Randolfs forderte ihre Aufmerksamkeit, und schnell gab sie ihrem Begleiter ein Zeichen, den Verletzten herunterzulassen. Da der Ritter sich noch nicht auf den Füßen halten konnte, drückte Guntram ihn vorsichtig mit dem Rücken gegen die Wand. Wieder gab der halb Bewusstlose ein undeutliches Murmeln von sich.
Henrika trat dichter an ihn heran. »Was sagt Ihr? Ich verstehe Euch nicht.«
Beim nächsten Mal konnte sie sein Murmeln verstehen, allerdings wusste sie nichts damit anzufangen. »Brief? Was meint Ihr damit?«
Randolfs Lider begannen zu flattern, bis er sie schließlich aus halbgeöffneten Augen ansah. Die Schmerzen, unter denen er litt, waren ihm deutlich anzumerken. »Brief … beim König … Truhe«, murmelte er erneut, dann fielen ihm die Lider zu.
Bevor er wieder das Bewusstsein verlor, konnte Henrika noch ein Wort verstehen, das ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.
»Ehre.«
Fieberhaft überlegte sie, was sie nun tun sollte. Eigentlich hatte sie vorgehabt, Randolf mit Hilfe von Guntram sofort von hier fortzuschaffen, doch jetzt gab es noch etwas anderes für sie zu tun.
Henrika atmete tief durch, zog die Tür mit einem Ruck auf und trat hinaus ins helle Morgenlicht. Zu ihrer Erleichterung war immer noch kaum jemand zu sehen, und langsam ging sie los, während Guntram ihr folgte, Randolf wie einen nassen Sack über der Schulter. Die Unruhe der jungen Frau wuchs mit jedem Schritt, den sie sich ihrem Ziel näherten. Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wie sie den noch immer ohnmächtigen Randolf in den Brunnenschacht befördern sollten, doch im Augenblick war ihre größte Sorge, überhaupt erst mal unbehelligt bis dorthin zu gelangen. Da sich der Brunnen am nordwestlichen Ende der Burganlage befand, war der Weg ohnehin schon lang genug, aber Henrika kam es so vor, als würde er kein Ende nehmen.
Seltsamerweise rief niemand »Haltet sie auf« oder Ähnliches, und schließlich erreichten sie unbehelligt ihr Ziel.
»Was soll das?«, fragte einer der am Brunnen wartenden Königsmannen und zeigte auf Randolf, der noch immer schlaff über
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