Die Tochter des Münzmeisters
letzten Baumreihen die mächtige Burganlagedurchschimmern sehen. Ihre einzige Chance, um wieder in die besetzte Burg zu gelangen und Randolf von Dietbert und dem Tod Folkmars zu berichten, lag vor ihr. Sie war Guntram unendlich dankbar, dass er sich bereit erklärt hatte, sie zu begleiten. Obwohl sie sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass er noch einen anderen Plan verfolgte, von dem sie nichts wusste.
»Der Stollen endet im Burgbrunnen«, bestätigte Guntram gelassen, »es gibt da nur noch ein Problem, und zwar, wie wir aus dem Brunnenschacht herauskommen. Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob es dort eine Leiter oder Ähnliches gibt.«
Henrika atmete tief durch und folgte ihm entschlossen durch den kleinen Zwischenraum der Hecke, hinter der sich eine hölzerne Klappe befand, die Guntram zur Seite aufschwingen ließ. Ein Zurück gab es für Henrika nicht, denn am Ende des Ganges befand sich die Burg und damit der Mann, dem sie in hoffnungsloser Liebe verfallen war.
Hinter der Klappe kam ein ausreichend hoher Gang zum Vorschein, dessen Öffnung mit dicken Rundhölzern gestützt wurde. Hoch genug jedenfalls, was Henrika betraf, Guntram dagegen musste den Stollen in gebückter Haltung betreten. Während er die Zweige wieder zusammendrückte, hielt sie die Fackel, über die sie kurz darauf mehr als froh war, denn das spärliche Licht verschwand, je weiter sie den Windungen des Ganges folgten. Teilweise war es sehr eng, und die Decke wurde gleich zu Beginn so niedrig, dass sie nur auf allen vieren vorwärts kamen. Guntram hatte dadurch Schwierigkeiten, die Fackel zu halten, aber Henrika war froh über das flackernde Licht, das eine tröstende Wirkung in dieser muffigen und feuchten Umgebung hatte.
Teilweise huschten ihr kleine Käfer und Spinnen überdie Hände, und die junge Frau musste so manchen Schrei unterdrücken. Ihre Hände und den Rock hatte sie sich bereits nach kurzer Zeit an herumliegenden Steinen und Wurzeln aufgerissen. Als sie endlich das Ende des Stollens erreicht hatten, war nicht nur Henrika erleichtert darüber. Guntram rammte die Fackel in den Boden, da er die Lichtquelle für den Rückweg noch benötigte, und lugte vorsichtig aus der Öffnung nach oben. Henrika erschrak, als er hastig zurückfuhr und ihr leise zuflüsterte, dass draußen Stimmen zu hören waren. Henrika drängte sich an ihm vorbei und lauschte angestrengt. Zu ihrer Überraschung erkannte sie die Stimme des Königs, wagte einen kurzen Blick nach oben und hielt den Atem an, als sie die Entfernung von mehr als dreißig Fuß über sich erkannte.
»Direkt über der Öffnung ist eine Leiter angebracht. Ich werde als Erstes hochklettern, denn mir werden sie nichts tun. Wenn du von mir keine Aufforderung hörst, dann verschwinde schnellstmöglich und verstecke dich.«
Guntram hielt sie mit festem Griff zurück. »Wir könnten abwarten und es später noch einmal versuchen«, wandte er ein.
Henrika lehnte rigoros ab. »Nein, ich will nicht länger warten, es wird schon gutgehen. Vertraue mir, so wie ich dir vertraut habe«, bat sie, und er ließ sie nach kurzem Zögern gehen.
Mit Bangen blickte die junge Frau über sich und kämpfte gegen die Furcht an, die sie angesichts der Höhe befiel. Die Stimmen vom Rand des Brunnens hatten sich entfernt, daher griff Henrika entschlossen nach dem linken Holm und setzte einen Fuß auf die erste Sprosse. Vorsichtig kletterte sie weiter und erklomm so langsam eine Sprosse nach der nächsten, immer mit dem Gedankenan das Wasser, das sich nicht weit von der Öffnung des Stollens entfernt unter ihr befand.
Ohne Probleme erreichte sie das Ende der Leiter und lugte vorsichtig über den gemauerten Brunnenrand. Ein Stück entfernt von ihr standen mehrere Männer in ein Gespräch vertieft beisammen, darunter auch König Heinrich. Von Randolf dagegen keine Spur. Mit großer Kraftanstrengung zog Henrika sich über den Rand, schwang erst das linke, dann das rechte Bein darüber, wobei sie ihre lange Kotte verfluchte. Ein erstaunter Ruf kündigte ihr an, dass die Männer sie bemerkt hatten.
»Fräulein Henrika!«
Die Miene des Königs zeugte von Überraschung, doch er fing sich zu ihrem Erstaunen ziemlich schnell. Henrika knickste tief und errötete voller Scham über ihr schäbiges und schmutziges Äußeres. Dann berichtete sie ihm in kurzen Sätzen von ihrem Ausflug zur Siedlung und ihrem Weg durch den Stollen, wobei sie bewusst den Kampf im Bauernhaus vom vergangenen Nachmittag wegließ. Während
Weitere Kostenlose Bücher