Die Tochter des Münzmeisters
Randolf auf. »Hemma kann ihm von ihrem Leid nichts mehr erzählen, wer sollte sonst …?« Er stockte, und seine Augen weiteten sich, als er den bohrenden Blick Randolfs bemerkte. »Nein, Ihr könnt unmöglich die edle Frau Edgitha meinen. Das ist völlig ausgeschlossen!«
Doch der Ritter zeigte sich unbeeindruckt von den entschlossenen Worten und redete dem Münzmeister weiter zu, während er sich zu ihm hinabbeugte. »Eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Sie ist die einzige überlebende Zeugin der Tat. Brun war der Blick durch Azzo versperrt, außerdem würde Heinrich ihm aufgrund seines damaligen Alters ohnehin nicht glauben. Mir ist durchaus klar, was ich damit von Frau Edgitha verlange, zumal ich weiß, dass sie seitdem nie mehr darüber gesprochen hat. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sie ihrer Enkeltochter zuliebe diesen Schritt tun würde. Redet mit ihr! Sie ist Euch sehr zugetan und wird bestimmt das Richtige tun.«
Clemens wich dem drängenden Blick Randolfs aus, stellte den Ellbogen auf den kleinen Tisch und stützte die Stirn mit der Hand ab, so dass seine Augen verborgen blieben. Ohne aufzusehen murmelte er schließlich leise: »Also gut, ich werde mit ihr reden. Aber jetzt lasst mich bitte allein, denn ich muss nachdenken. Selbstverständlich seid Ihr heute Abend unser Gast, und ich erwarte Euch gegen sechs, dann werdet Ihr auch Eure Antwort erhalten.«
Randolf fühlte mit Henrikas Vater, der ihm unsäglich leidtat, was aber nichts daran änderte, dass er ihm eine weitere schlechte Nachricht überbringen musste. »Vielen Dank für die freundliche Einladung, die ich zu meinem größten Bedauern ablehnen muss, denn der Könighat angeordnet, dass Eure Tochter bei seinem Eintreffen Anfang der nächsten Woche hier sein muss. Ich komme leider nicht umhin, sofort aufzubrechen, um Henrika rechtzeitig von Goswin herzubringen. Doch sorgt Euch nicht, es wird alles gut werden.«
Im selben Augenblick wusste Randolf, wie hohl seine Worte klangen, denn durch den Plan des Königs hatte die Vergangenheit Clemens und Edgitha wieder eingeholt. Beide, davon war der Ritter überzeugt, hatten jeder für sich versucht, die schmerzlichen Erinnerungen zu verdrängen. Inwieweit ihre Bemühungen von Erfolg gekrönt waren, vermochte niemand zu sagen.
Als Henrikas Vater müde den Kopf hob, erschrak Randolf, denn der Münzmeister wirkte plötzlich um Jahre gealtert.
»Ich habe immer geahnt, dass unsere glückliche Zeit irgendwann enden wird, denn sie war ein Trugbild, und so etwas hat nie auf ewig Bestand! Ist es nicht Ironie des Schicksals, dass ich entgegen aller herrschenden Regeln niemals versucht habe, meine Tochter zu verheiraten? Es geschah zum Teil natürlich aus Eigennutz, denn der Gedanke, sie ebenfalls zu verlieren, war mir unerträglich. Doch der eigentliche Grund war, dass meine Frau immer darunter gelitten hat, jemanden heiraten zu müssen, den sie nicht liebt. Und ich rede in diesem Fall nicht von mir, sondern von dem Bruder des Erzbischofs Adalbert«, fügte er mit einem hilflosen Lächeln hinzu. »Versprecht mir, dass Ihr auf Henrika aufpassen werdet, denn Ihr habt mehr Möglichkeiten als ich zu verhindern, dass meine Tochter das gleiche Schicksal ereilen wird wie meine geliebte Hemma.«
Da Clemens keine Anstalten machte, sich zu erheben, verbeugte Randolf sich tief und erwiderte mit fester Stimme: »Das verspreche ich Euch gerne!«
Dann verließ er den Raum mit schnellen Schritten, und da er zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt war, bemerkte er nichts davon, dass ihn jemand beim Überqueren des Pfalzgeländes beobachtete.
Die Frau am Fenster sah dem gutaussehenden und hochgewachsenen Mann so lange hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Wie schon früher bei Randolfs Besuchen, hatte Edgitha mit Verblüffung und Schmerz die Ähnlichkeiten in der Haltung und der Art sich auszudrücken zwischen ihrem verstorbenen Mann und seinem ehemaligen Knappen bemerkt. Bereits zu Lebzeiten Gottwalds war ihr aufgefallen, wie sehr der junge Randolf die Eigenarten seines Lehrmeisters verinnerlicht hatte. Nun, da aus dem Jungen ein Mann geworden war, fiel Edgitha diese Tatsache noch deutlicher auf, denn sie hatte ihren Mann auch nach all den Jahren noch immer klar vor Augen. Selbst wenn Randolf dem verstorbenen Vogt, abgesehen von der schmalen Gesichtsform, nicht unbedingt im Aussehen glich, so wurde sie bei seinem Anblick dennoch schmerzhaft an Gottwald erinnert. Fast so wie bei ihrem ältesten
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