Die Tochter des Münzmeisters
abzuraten? Die Gegend hier ist in letzter Zeit sicher, und wir würden zudem den Pferdeknecht mitnehmen. Herwin ist todunglücklich, und ich kann es ihm leider nicht richtig klarmachen, da ich es selbst nicht verstehe.«
»Ach, du lieber Himmel!«, rief Betlindis entsetzt aus. »Das habe ich ja völlig vergessen! Ich wollte es dir gleich nach seiner Abreise sagen und jemanden zum Haus deines Onkels schicken, aber die Trauer hat mich plötzlich so übermannt, dass ich es völlig vergessen habe.«
Henrika schüttelte verwirrt den Kopf. »Onkel Goswin? Was hat der denn damit zu tun?«
Mit einem Mal erstarrte sie und erinnerte sich an ein Gespräch, das sie kurz vor ihrer Abreise aus Goslar mit ihrem Vater geführt hatte. Trotz ihrer ruhigen Art hatteHenrika sich schon immer für die politische Situation im Land interessiert, und ihr Vater diskutierte mit Freuden darüber, wohin die aktuellen Ereignisse führen könnten. Da er über Randolf viele Neuigkeiten erfahren hatte, konnte er seiner Tochter einiges davon weitergeben.
»Es geht um die steigende Unzufriedenheit der sächsischen Fürsten, habe ich recht? Was planen sie? Wollen sie etwa das Land mit Krieg verheeren?«, flüsterte sie tonlos.
Betlindis sah ihre Freundin verwirrt an. »Ich weiß leider nicht genau, was du meinst. Für Politik habe ich mich noch nie interessiert«, antwortete sie entschuldigend. Mit einem Mal wurde sie bleich. »Aber wenn es stimmt, wäre das ganz schrecklich, denn das würde bedeuten, dass Randolf gegen meinen Vater kämpfen müsste!«
Leicht entnervt verdrehte Henrika die Augen, denn von Randolf zu hören, war jetzt wirklich das Letzte, was sie wollte. »Was meinte er denn dann?«
»Jemand hatte ihm von einer größeren Gruppe Gesindels berichtet, vor denen er uns schützen wollte«, entgegnete Betlindis, leicht gekränkt durch die ungewohnt unwirsche Art Henrikas. »Du kannst also im Augenblick auf keinen Fall mit Herwin ausreiten. Das wäre viel zu gefährlich!«
Henrika erhob sich und atmete tief durch. »Du hast vollkommen recht damit, dass dein Sohn nicht den Hof verlassen darf. Mich dagegen kannst du nicht davon abhalten, meine Familie zu warnen.« Damit drehte sie sich um und ging auf direktem Weg zum Stall.
Der Gedanke, selbst Opfer werden zu können, kam ihr überhaupt nicht in den Sinn, so groß war ihre Sorge um ihren Oheim und seine Familie. Auf die Rufe ihrer Freundin reagierte sie nicht, denn sie konnte sich schondenken, dass sie ihr nur von ihrem höchst leichtsinnigen Vorhaben abraten wollte.
Erst am Stall holte Betlindis sie ein. »Wie kannst du nur so unvorsichtig mit deinem Leben umgehen?«, stieß sie keuchend hervor. »Ich werde den Stalljungen hinschicken, er kennt sich gut aus in der Gegend und wird versteckte Pfade nehmen.«
Mit einem Mal war Henrikas Ungeduld mit Randolfs Frau wie weggeblasen, so gerührt war sie über die Sorge der Freundin. »Das ist eine gute Idee! Sei mir bitte nicht böse, aber wenn er die Wege so gut kennt, dann kann mir bei ihm auch nichts geschehen.«
Ungläubig sah Betlindis sie an und öffnete den Mund, um ihr zu widersprechen, als ein Warnruf von einem der Torposten ertönte.
»Reiter!«
Die beiden Frauen wurden blass, als sie sahen, wie zwei von Randolfs Männern in Windeseile das Tor schlossen.
»Wie viele?«, rief Henrika, während sie bereits zum Tor lief und die Stufen am Palisadenzaun erklomm.
»Nur zwei«, entgegnete der Mann und musterte die junge Frau neben ihm ratlos.
Völlig unvermittelt hatte Henrika angefangen laut zu lachen, und ohne sich um die Blicke der anderen zu kümmern, sprang sie die Stufen hinunter. »Es sind meine beiden Onkel!«, rief sie der bestürzten Betlindis zu. »Öffnet das Tor, schnell!«
Kurze Zeit später wirbelte ihr jüngerer Oheim sie bereits durch die Luft und setzte sie erst auf ihren lauten Protest hin wieder ab.
»Meine Lieblingsnichte wird immer hübscher! Was meinst du, Bruder, können wir stolz auf sie sein?«
Goswin wandte sich lächelnd Henrika zu, nachdem er,wie es sich gehörte, erst die Herrin des Hauses begrüßt hatte. »Ich wäre auch dann stolz auf sie, wenn sie hässlich wie die Nacht wäre«, antwortete er und umarmte seine glückliche Nichte.
»Bin ich froh, dass Ihr gekommen seid!«, mischte Betlindis sich schüchtern ein. »Um ein Haar wäre Henrika zu Eurem Hof geritten.«
Verständnislos sahen die beiden Männer ihre Nichte an, die notgedrungen eine Erklärung abgeben musste.
Als er von der Warnung
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