Die Tochter des Praesidenten
Neben den Eltern waren ein Junge von vielleicht zehn oder zwölf Jahren zu sehen und ein Mädchen von fünf oder sechs. Das Bild wirkte fast wie aus einer anderen Zeit.
»Ob das ein Familienfoto ist?«
»Er ist wahrscheinlich der Junge in den kurzen Hosen«, meinte Dillon.
Blake stellte das Foto behutsam wieder zurück. »Und jetzt?«
»Wir schleichen uns besser wieder weg. Wir können es ja am späten Nachmittag noch mal probieren, falls er wirklich heute zurückkommt. Bis dahin müssen wir uns eben einfach die Zeit vertreiben.« Er lächelte. »In Paris heißt das für gewöhnlich, sich ein wirklich großartiges Es sen zu gönnen.«
Sie verließen das Apartment, und Dillon verschloß die Tür. Draußen regnete es noch immer. Sie blieben stehen und blickten hinüber zum Bois de Boulogne.
»Eine gute Adresse«, meinte Dillon.
»Wie es sich für einen erfolgreichen Mann gehört.«
»Der Mann, der alles hatte und am Ende bemerkt, daß er gar nichts hat.«
»Bis Judas daherkam?«
»So in etwa.«
»Und was machen wir jetzt?«
Dillon lächelte. »Wir sehen mal nach, ob mein Kahn noch in Ordnung ist.«
Das Boot lag ganz in der Nähe von Notre Dame am Quai St. Bernard. An der Steinmauer waren Vergnügungsboote vertäut und Motorkreuzer, die sich mit Leinenplanen vor Regen und Nebel schützten. Auf dem Deck stand am Heck eine Reihe von Blumentöpfen. Dillon hob einen hoch. Darunter lag ein Schlüssel.
»Wie lange ist es her, seit du das letzte Mal hier warst?« fragte Blake.
»Ungefähr ein Jahr oder achtzehn Monate.« Dillon ging den schmalen Niedergang hinunter und schloß die Tür auf.
»Jesus, wie muffig das ist. Muß mal gründlich gelüftet werden.«
Blake sah sich überrascht um. Er hatte etwas anderes erwartet als diese Luxuskabine aus Mahagoni mit beque men Sofas, einem Fernsehgerät und einem Schreibtisch. In einer zweiten Kabine stand eine Polsterliege, daneben gab es eine Dusche und eine Kombüse.
»Ich suche uns mal was zu trinken.« Dillon ging in die Kombüse und kramte in den Schränken. Als er mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern zurückkehrte, sah er, daß der Amerikaner einen vergilbten Zeitungsausschnitt betrachtete.
»Habe ich auf dem Boden gefunden. Der Premiermini ster. Ist aus der London Times, aber ich kann das Datum nicht erkennen.«
»Der gute alte John Major. Muß aus dem Schreibtisch gerutscht sein, als ich den Rest des Materials aufgeräumt habe. Februar einundneunzig, die Granatenattacke in der Downing Street.«
»Dann ist es wirklich wahr, daß du dafür verantwort lich warst? Du hättest es beinahe geschafft, du Bastard.«
»Stimmt. Es ging nur alles Hals über Kopf, und ich hatte keine Zeit mehr, Seitenflossen anzuschweißen, des halb war die Flugbahn nicht exakt genug«, erwiderte er seelenruhig. »Komm mit.«
Er öffnete eine Tür, die zum Achterdeck führte, das von einer Markise überdacht war, auf welche der Regen tropfte. Zwei Korbstühle standen an einem kleinen Tisch. Dillon schenkte Bordeaux in die Gläser ein.
»Bitte sehr.«
Blake setzte sich und nahm einen Schluck. »Hervorra gend. Ich hab’ ja eigentlich damit aufgehört, aber jetzt könnte ich eine Zigarette vertragen.«
»Klar.« Dillon gab ihm eine und steckte sich ebenfalls eine an. Er schlenderte zur Reling, trank seinen Wein und blickte hinüber zu Notre Dame.
»Warum, Sean?« fragte Blake. »Mann, ich kenne deine Akte auswendig, aber begreifen kann ich es trotzdem nicht. All diese Anschläge, diese ganzen Jobs für Organi sationen wie die PLO, den KGB. Okay, dein Vater wurde bei einem Straßenkampf in Belfast von einer Kugel ge troffen, und du bist in die IRA eingetreten, weil du der englischen Armee die Schuld daran gegeben hast. Damals warst du neunzehn, nicht wahr? Das verstehe ich, aber später?«
Dillon wandte sich zu ihm um. »Denk mal an euren amerikanischen Bürgerkrieg, an Leute wie Jesse und Frank James. Überfälle, Kämpfe und Morde für die glor reiche Sache – das war das einzige, was sie kannten. Doch dann war der Krieg vorbei, und was haben sie getan? Banken ausgeraubt und Züge überfallen«
»Und als du die IRA verlassen hast, hast du deine Fä higkeiten für Geld angeboten.«
»So in etwa.«
»Aber als die Serben dich in Bosnien abgeschossen ha ben, hast du doch medizinische Hilfsgüter für Kinder dorthin
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