Die Tochter des stählernen Drachen
die Türe auf der Fahrerseite und machten sich daran, die Eingeweide herauszureißen. Sitze, Kabel, Zündkerzen, eine schwarze Armaturenbrettfigur der Großen Mutter flogen hinaus in die Menge. »Mistkerle!« brüllte der Behemoth. »Ich bringe euch um! Zerquetsche euch! Stampfe euch platt!« Es war erschreckend, daß ein so großes Biest, eine so mächtige Maschine, so leicht zu überwältigen war.
Erschreckend und ein ganz klein bißchen großartig.
Die Front einer Taverne war weggerissen und die Bar aufgebrochen worden. Flaschen wurden an jeden herausgereicht, der gerade vorüberging. Jane merkte, daß sie eine Flasche Pfefferminzschnaps umklammert hielt. Er schmeckte schrecklich. Aber nach einer Weile gewöhnte sie sich daran.
Plündernd und zerstörend flutete der Mob voran, bis irgend etwas weiter vorn - eine Sackgasse, eine Gabelung der Straße - ihn unschlüssig innehalten ließ. Da sie jetzt wieder normal gehen konnte, entdeckte Jane erneut Linnet, die Arm in Arm mit einem riesigen mißgestalteten Kerl vorüberging. Jane tippte ihr auf die Schulter.
Linnet sah verständnislos auf. »Was tust du denn hier?« Ohne eine Antwort abzuwarten ließ sie den Arm ihres Gefährten los. »Das ist Knochenkopf.«
Knochenkopf machte seinem Namen gewißlich alle Ehre. Der Schädel war mächtig groß, schief und leichenblaß unter kurzgeschorenem Haar. Sonnenräder waren ihm auf Stirn und Wangen eintätowiert. Die Augen waren leblose aschfarbene Höhlen.
Er grinste rüpelhaft und befingerte sich die Eier.
Jane übersah ihn verzweifelt und fragte: »Hast du eine Ahnung, wo wir sind? Du mußt nicht mitkommen. Zeig mir bloß die richtige Richtung, und ich werd den Weg nach Hause allein finden.«
Mit vernichtendem Spott sagte Linnet: »Du kapierst’s nicht, hm? Du kapierst’s einfach nicht.« Ihre Flügel schlugen, als sie sich den Pullover über den Kopf zog. Darunter trug sie nichts. Ihre Brüste waren nicht sonderlich groß, aber die Warzen waren riesig; groß wie Pflaumen und von der Farbe von Aprikosen. Bei ihrem Anblick gab es Beifallsrufe.
Linnet warf den Pullover in die Luft. Ein buckliger Musiker beugte sich herab, schob ihr den Kopf zwischen die Beine, und stand dann wieder auf. Sie hockte auf seinen Schultern wie eine Galionsfigur für den Mob.
»Zum Tumulus!« rief jemand. Linnet trieb sie mit energischen Armbewegungen weiter. »Zum Tumulus!« kreischte sie. Während der Bucklige unter ihr auf seiner Flöte spielte, führte Linnet sie davon.
Sie gingen raschen Schritts, fast im Trab. Der berauschende Geruch nach Schweiß, wie verfaulendes Obst, umgab Jane. Der Mob rief jetzt keine Sprechchöre, sondern produzierte ein ungewöhnliches Geräusch: eine Brandung aus Stimmen, durchsetzt mit gelegentlichen schrillen Schreien, die wie Tonstacheln aus der Oberfläche stiegen, sowie ein unaufhörliches Baßgerumpel, das in ihrer Magengrube vibrierte. Es summte und knisterte im Kopf wie bei einem Amphetaminrausch, beständig, unveränderlich und dennoch in komplizierten Variationen - eine Symphonie des Chaos.
Jane fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Es knisterte. Sie wollte nicht mehr weg. Das Geschehen war zu aufregend, auf eine schreckliche Weise zu lebenssprühend, um darauf zu verzichten. Sie mußte sehen, was als nächstes geschähe. Sie war ein gewichtloses geladenes Teilchen im Strom des Mobs und ließ sich davontragen. Sie bot seinem Willen nicht den geringsten Widerstand.
Plötzlich befand sich Jane in einem Elektrogeschäft. Ringsumher schnappten sich verschwommene Gestalten Camcorder, CD-Player, Mini-Kühlschränke. Jemand drückte ihr eine Kiste in die Arme. Sie nahm sie verblüfft.
Ein rußgeschwärzter Kobold sprang aus den Schatten und rief fröhlich: »Feuer! Gefahr! Feuer! Hinaus! Hinaus!«
Flammen leckten hinter ihm hoch.
Alle wollten sich gleichzeitig vorn hinausquetschen. Einen ängstlichen Augenblick lang glaubte Jane, man würde sie zerdrücken, und fürchtete um ihr Leben. Erst mehrere Blocks weiter dachte sie daran sich anzusehen, was sie da eigentlich hatte.
Ein Mikrowellenherd.
Das war wirklich ein bemerkenswerter Zufall. Sie benötigte dringend einen Mikrowellenherd in ihrem Zimmer, und da es völlig unmöglich war, jemals etwas so Großes zu klauen, entschloß sie sich, ihn zu behalten.
Weil sie den Herd schleppte, konnte Jane jedoch nicht mehr Schritt halten. Nach und nach fiel sie zurück, glitt stetig zum hinteren Ende des Mobs. Bis sie sich schließlich mit schmerzenden
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