Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
Vom Netzwerk:
Alles geriet in Bewegung. Flammen schlugen hoch. Und das Ganze in einem Augenblick vollkommener Stille.
    Dann erbebte die Welt.
    Warme Luft schlug Jane ins Gesicht, und sie stolperte rückwärts; es war, als würde man von einem Kissen getroffen. Ihre Ohren waren wie taub, sie klingelten. Sie kam sich zerrissen und zerteilt vor, die Geschehnisse vor ihren Augen zersplitterten in zu viele Bilder, um sie auf einmal zu erfassen: der Tylwyth Teg in Flammen, rennend, fallend. Ein untergeordneter Riese, der sich mit hysterischem ungläubigen Gelächter vorbeugte. Etwas, das durch die Luft segelte. Platzende Abschlußblöcke, die Steine und Farbblättchen versprühten.
    Grauer Rauch lag wie ein Schleier über dem Raum, ebenso stinkende schwarze Schwaden brennender polychlorierter Biphenyle. Sirenen heulten.
    Inmitten der geysirhaft sprühenden Funken stand der niedergeschlagene Blugg. Eine Säule in einem chaotischen Meer. Er regte sich nicht, während das Licht an ihm vorüber und durch ihn hindurch strich. Ein Arm hob sich langsam, als wollte er ein Stecheisen hochheben. Dann zerfiel er, zerkrümelte zu grauer Asche.
    Dimity kreischte, als ein Sprühregen von Splittern eine Kurve über ihr Gesicht beschrieb, eine anmutige Linie, die netterweise die Lippen, die Nase und beide Augen verschonte, jedoch auf Haaresbreite miteinander verband. Andere Kinder sprangen umher, tanzten vor Schmerz Quickstep, schlugen nach Armen oder Körperseiten.
    Aber Jane sah nichts davon. Sie starrte auf Rooster, und es war, als hätte sie seit Anbeginn der Zeit auf ihn gestarrt.
    An der Mauer neben dem Ausgang war eine emaillierte graue Schachtel verschraubt. Es war ein Sicherheitsapparat, eine der untergeordneten Töchter der ZeitUhr. Konturlos und augenlos, jedoch nicht blind. Auch nicht machtlos.
    Roosters Körper lag auf der Schwelle. Er war geschrumpft und dünn wie ein Stück Papier, das man, nachdem es seinen Zweck erfüllt hatte, zusammengeknüllt und weggeworfen hatte. Ein Rauchfähnchen kräuselte sich über seiner Brust. Nur sie allein im ganzen Raum hatte die Flamme gesehen, die heller als eine Magnesiumflamme unter seinem Hemd hervorgeschossen war, als er am Sicherheitsapparat vorübergekommen war und die Schwelle überquert hatte. Ihre Quelle war Bluggs Stempelkarte gewesen. Jane hatte den Lichtblitz gesehen, hatte gesehen, wie Rooster sich vor Qual gekrümmt hatte, als die brutale Kraft seinen Körper durchschlagen hatte, sie hatte seinen abgeschnittenen Schmerzensschrei gehört, einen Schrei wie der kurze scharfe Ruf einer Nachtlerche.
    Sie starrte Rooster an, und er war tot.

    Die Kinder hatten sich instinktiv zusammengeschart. Inmitten des Rauchs und der Flammen, des Gekreischs und der gebrüllten Befehle sagte Dimity mit leichter Verwunderung: »Blugg ist tot.«
    »Und Rooster.« Der Schattenjunge sprach irgendwo hinter ihr. »Sie sind zusammen zum Spiralschloß gegangen.«
    Angesichts dieser Ungeheuerlichkeit, der Unwahrscheinlichkeit, daß zwei solche Schicksale miteinander vermengt wurden, schwiegen sie alle einen Augenblick lang. Schließlich fragte Thistle: »Was tun wir jetzt?«
    Sie sah Dimity flehend an. Aber Dimity gab keine Antwort. Das Unglück hatte sie ebenso erschreckt wie die anderen. Sie zitterte, war betäubt, erschüttert, und das Gesicht war totenbleich und mit Blut gesprenkelt, wo die Splitter sie getroffen hatten. Eine Anführerin, dachte Jane säuerlich.
    Ein eselsohriger Aufseher in zerrissenem weißen Hemd stolperte vorüber und berührte sie nacheinander an den Schultern, als würde er ohne diese Stütze hinfallen. »Bleibt hier!« sagte er. »Jede Minute wird ein Sicherheitsoffizier vorbeikommen. Er wird euch befragen wollen.« Er verschwand im Rauch.
    Dann war der Drache wieder in Jane, erfüllte sie mit Zielstrebigkeit und Kraft. »Stellt euch auf!« fauchte sie. »Stellt euch der Größe nach auf. Im Quadrat. Hinaus!«
    Demütig gehorchten sie.
    Jane führte sie aus der Fabrikhalle hinaus und über das Gelände. Noch immer strömten Rettungsmannschaften zu der Montagehalle. Krankenwagen heulten. Blitzende Lichter und der Gestank der Explosion erfüllten die Nacht. Die Lader und Laster regten sich ruhelos in ihren Ställen, schrien mit aufgeschreckten mechanischen Stimmen. Wie entrückt gingen die Kinder durch das Chaos, geschützt von Janes zielstrebiger Aura. Niemand hielt sie auf.
    Einige der Kinder - die kleinsten - schlugen noch immer um sich und husteten, als Jane sie zum Gebäude 5 führte.

Weitere Kostenlose Bücher