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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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und ZWERGE AN DIE MACHT! mit zwei gekreuzten Hämmern darunter. Im menschlichen Bereich des Spektrums flackerten drei Fenster in einem unheimlichen Fernseher-Blau.
    Einen Augenblick lang war sie fast entschlossen, Melanchthon durch seinen Namen zu beschwören. Die Silben waren den Bruchteil einer Sekunde vom Aussprechen entfernt. Doch schon beim leisesten Gedanken daran stieg eine Übelkeit in Jane auf, ein Ekel von solcher Stärke, daß sie sich fast übergab. Etwas entrollte sich halb in ihrem Kopf.
    Ihr Blick wurde verschwommen und richtete sich nach innen auf die Diagnosegeräte der Maschine. Grüne Linien entwirrten sich, vervielfachten sich und legten sich übereinander, als führten sie ein Eigenleben. Auf dem Schaltbild war Melanchthons erbärmlicher Zustand deutlich zu erkennen. Nur allzu offensichtlich schimmerten jeder Bruch und jeder Spalt, der repariert werden mußte - hier war etwas zu schmieren, dort etwas neu zu verdrahten oder zu ersetzen. Es mußte Tausende solcher defekter Stellen geben, die sich kreuz und quer über den schwarzen Eisenkörper zogen, und jede einzelne davon war eine Verpflichtung, für deren Heilung sie ihre Seele verpfändet hatte.
    Die Gegenwart des Drachen wallte unter ihr hoch, Eisen und kaltes, kaltes Blut. Sie kam sich vor wie eine Ameise auf einem wandelnden Berggipfel. Eine Aura von Krankheit strahlte von ihm aus, schwärzte die Luft, und zum erstenmal traf sie die Erkenntnis wie ein Schlag, daß Melanchthon in seinem gegenwärtigen Zustand ein Krüppel und wie jedes verkrüppelte Wesen proportional zu seiner Kraft und ehemaligen Energie gefährlich war.
    Die geistige Gesundheit kehrte zurück und damit gleichzeitig die Furcht.
    Mit Händen, die jäh kalt geworden waren, schaltete Jane die wechselseitige Beeinflussung aus. Die Gegenwart des Drachen erstarb.
    Sie brauchte eine Weile, um sich wieder zu sammeln. Nachdem es ihr gelungen war, hob sie die Bücher auf. Sie würde den Drachen nicht beschwören. Keinesfalls heute abend. Ihr nächstes Gespräch war auf einen Augenblick von weit größerer Wichtigkeit verschoben.
    Sie erfaßte jetzt jedoch nicht mehr, was sie an Text vor sich liegen hatte. Siebenmal überlas sie eine Seite, ehe ihr klar wurde, daß sie nicht die geringste Ahnung hatte, welches Buch sie geöffnet hatte. Sie ließ es aus den Fingern rutschen, wälzte sich auf den Rücken und sah mit leerem Blick hinauf zur eisernen Decke der Kabine.
    Nach einer Weile kamen ihr die Tränen.
    Ihre Einsamkeit schien jetzt so überwältigend, ihre Isolation vollkommen. Jane spürte ihre Unterlegenheit wie einen körperlichen Schlag. In einer Welt voller Zauberei war sie nichts weiter als ein Wechselbalg, nichts weiter als eine Schülerin, nichts weiter als eine kleine Diebin.

7

    Die materielle Welt setzt sich letzten Endes aus Urmaterie zusammen. Jedoch hat niemand je Urmaterie zu Gesicht bekommen, da es sich dabei lediglich um eine denkbare Existenz handelt, bis die Form auf sie einwirkt, um Luft, Feuer, Wasser und Erde sowie die nahezu unendliche Anzahl von Elementen zu erschaffen, die eine Mischung der vier Grundelemente darstellen. Der Akt der Schöpfung erfolgt in zwei Strömungen. Die auf den Ozean einwirkende Sonnenhitze verursacht eine dampfartige Strömung, die sowohl feucht als auch kalt ist, und die daraus entstehenden Verbindungen sind deswegen größtenteils - aber nicht ausschließlich - aus Wasser und Luft zusammengesetzt. Wenn Sonne jedoch auf das Land einwirkt, erfolgt eine rauchartige Strömung, die sowohl heiß als auch trocken ist, und ihre Verbindungen sind zumeist Mischungen aus Erde und Feuer.
    Jane liebte die Alchemie. Sie war fasziniert von ihrer Eleganz. Aus der Gestaltlosigkeit entstanden durch zwei bestimmte Vorgänge die vier Grundelemente sowie alle Dinge, die davon abgeleitet wurden. Eine auf ihre Komponenten reduzierte Eiche bestand zur Gänze aus einer Kombination der vier Grundelemente. Man konnte das beweisen, indem man einen Scheit von diesem Baum nahm und genügend Hitze zuführte. Das Entwirren begänne mit der Austreibung von Flammen und heißen Luftströmen - die beiden ersten Elemente. Während der Scheit verbrannte, perlte teerige Flüssigkeit aus den abgeschnittenen Enden des Scheits - Wasser. Dann, wenn die Zersetzung vollständig war, verblieb ein Rest aus Asche, dem Urelement der Erde.
    »Die rauchartige Strömung«, sagte der bleiche Mann, »ist männlich und die dampfartige weiblich. Quecksilber ist ein Mutterschoß, worin

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