Die Tochter des stählernen Drachen
im Eingangsbereich des Einkaufszentrums herum, wo der Zeitfluß halb normal war und die Plakatsäulen für die Sonderangebote standen. Sie trat gerade rechtzeitig heraus, um die roten Rücklichter des letzten Busses nach Hause auf der Straße verschwinden zu sehen. Zwei Meilen mußte sie die Wunderstraße hinabgehen. Stählerne Behemoths donnerten so nahe vorüber, daß sie der Rückstoß zum Stolpern brachte. Die Hinterhöfe und verlassenen Grundstücke waren voller leuchtender Augen und winziger Schreie. Etwas rührte sich in den Schatten, und sie war sich gewiß, daß es ihr folgte. Wolfsjungen! dachte sie entsetzt.
Um die Sache noch schlimmer zu machen, tauchte Peter am folgenden Tag nicht auf. Beim Mittagessen stellte Jane vorsichtig ein paar Fragen und fand heraus, daß er die Schule geschwänzt hatte. »Das ist Peter«, sagte ein Nisse unbekümmert. »Launisch wie eh und je. Das ist das Sympathische an ihm.«
Also kam es, daß sich Jane unmittelbar nach der Schule in den Stadtteil hinter der Müllkippe wagte, um Peters Bude zu suchen, ihm die Kassette zu geben und ihm gründlich die Meinung zu sagen.
Peter lebte in einem heruntergekommenen Einkaufsviertel. Er hatte eine schäbige Wohnung im dritten Stock über einem in Konkurs gegangenen Discount-Stereogeschäft. Wo einmal die Klingel gewesen war, stach jetzt ein Stück Draht heraus, aber das Schloß der Tür war sowieso kaputt. Also ging Jane hinauf. Das Treppenhaus roch nach gekochtem Leinen und alter Farbe. Das Linoleum im Flur vor seiner Wohnung war aufgeplatzt und buckelig. Sie klopfte.
»Herein!«
Sie öffnete die Tür.
Er lag bleich und nackt auf einem zerwühlten Bett und hatte den Kopf zurückgelegt. Ihm standen die Rippen hervor, und Jane sah eine aschgraue Brustwarze. Ein zufälliger Faltenwurf der verwühlten Laken über der Hüfte verbarg seine Geschlechtsteile. »Leg’s einfach auf den Tisch«, sagte er, ohne die Augen zu öffnen. »Schlag zwei Kröten als Trinkgeld drauf und schreib es an.«
Jane stand dort und wußte nicht, was sie sagen sollte. Peter hatte einen leichten Haarbusch auf der Brust, und eine feine Linie wuchs ihm bis zum Bauch herab. Ein Schwarzweiß-Fernseher auf einem Stuhl in der Ecke sprach zu sich selbst, Bild an, Ton völlig abgedreht. »Ich ... ich glaube nicht, daß ich die Person bin, die du erwartest«, wagte sie schließlich zu sagen.
Ruckartig setzte sich Peter auf und ergriff in völliger Panik das Laken, um sich darin einzuhüllen. Dann sank er zurück aufs Bett, nachdem er seine ganze Energie verbraucht hatte. »Oh, schön. Das Band. He, tut mir leid, ich - nun du siehst, daß ich nicht so ganz in Form für die Schule bin.«
»Du siehst schrecklich aus«, sagte sie zu ihm.
»Ich fühle mich schrecklich«, stimmte er zu.
Eine Toilettenspülung rauschte. Gwenhidwy the Green kam aus dem Bad, wobei sie den Rock schloß. Sie sah Jane und blieb stehen. »Hallo«, sagte sie freundlich. »Wer ist denn das?«
»Eine Freundin aus der Schule«, sagte Peter. »Jane Alderberry.« Er hatte die Augen geschlossen. Die Lider waren fast durchscheinend, die Lippen weiß.
Jane wußte nicht, was sie mehr erstaunte - daß Peter sie als Freundin bezeichnete oder daß er überhaupt ihren Namen wußte. Sie hielt das kleine Päckchen hin. »Ich bin nur hergekommen, um das zu bringen. Von Peter.«
»Wie süß.« Gwen nahm das Band, bewunderte es kurz und ließ es verschwinden. Sie glitt an Peters Seite und streichelte ihm die Stirn, wobei sie sich neben das Bett kauerte. »Armer Junge. Hilft das?«
»Deine Hand ist kühl«, murmelte er. »So kühl.« Er griff blindlings nach ihren Fingern, zog sie sich an die Lippen und küßte sie.
Jane empfand großes Mitleid mit ihnen. Sie waren beide wunderschön, ihre Liebe war vollkommen, und sie waren zum Scheitern verurteilt. Im Vergleich zum Leben der beiden war ihr eigenes Leben geschmacklos, kompliziert und inkonsequent. Sie verspürte eine derart zarte und starke Zuneigung zu ihnen, daß man es beinahe Liebe hätte nennen können.
Peter öffnete jäh die Augen. »Wie spät ist es? Haben wir es versäumt? Es muß jetzt gleich kommen.«
»Pscht.« Gwen lächelte. »Ich behalte die Zeit im Auge.« Sie ging zum Fernsehapparat und legte die Hand auf den Ton. »Jetzt müßte es bald soweit sein.«
Es lief gerade eine Talkshow. Jeder Teilnehmer war groß und elegant, Kleidung war lediglich Beiwerk, und bei Haaren, Zähnen und Nägeln war eines so vollkommen wie das andere. Jane sah
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