Die Tochter des stählernen Drachen
starken Hände steckten in schwarzen Lederhandschuhen. Das Haar war steif und borstig - in seinen Adern mußte wohl etwas Wolfsblut fließen -, und die Ohren waren aristokratisch laminiert. Er lächelte und zeigte dabei rechteckige gleichmäßige Zähne. Aber er sprach kein Wort.
In der Klasse entstand ein unbehagliches Hin- und Herrutschen.
Wie er da so vor dem Pult stand, beherrschte der Kinderfänger die Szene. Grunt und Strawwe verblaßten in seiner Gegenwart völlig. Die Uhr über der Tafel stellte einen zweiten Brennpunkt der Aufmerksamkeit dar. Ihre Scheibe war die einzige gebogene Linie in einer rechtwinkligen Umgebung, der nervöse Sprung ihres Sekundenzeigers die einzige Bewegung in einem Universum, wo jegliche Bewegung schon vor langer Zeit erstorben war.
Jetzt holte der Kinderfänger etwas aus der Tasche. Es war ein rauh und kratzig wirkendes Tuch von einer Färbung irgendwo zwischen Olivgrün und Braun. Ein schwarzer Handschuh umklammerte es fest und hob es langsam an die lange schmale Nase. Der Blick huschte hin und her über die Klasse.
Er atmete langsam und tief ein.
Erinnerungen durchfluteten Jane.
Sie befand sich wieder im Schlafsaal in Gebäude 5 der Dampfdrachenwerke. Das war eine ihrer frühesten Erinnerungen, die sie stets verwirrt hatte. Es war Morgen, und die Schmieden fuhren auf Hochtouren, wie sie es die vergangenen beiden Wochen über getan hatten, und ihr Gebrüll dröhnte beständig im Hintergrund. Sie stand neben ihrem Bett und faltete ihre Decke zusammen. Alle Kinder waren beschäftigt, bereiteten sich auf Bluggs morgendliche Inspektion vor und waren begierig auf das Frühstück.
Plötzlich verschwamm ihr alles vor den Augen, und sie sah zwei Bilder auf einmal. Sie stand hier vor dem Bett und saß gleichzeitig in der letzten Reihe von etwas, das sie gegenwärtig nicht als Klassenzimmer wiedererkannte. Fremde umgaben sie ringsum. Ein großes dunkles Wesen starrte von der anderen Seite des Raums zu ihr hinüber. Die beiden Augen waren Nadelstiche, die sich durch die Wirklichkeit bohrten.
Ihre Hand erstarrte auf der Decke, deren Material rauh und kratzig war, von einer Färbung irgendwo zwischen Olivgrün und Braun. Die Decke schien erfüllt von irgendeiner entsetzlichen Bedeutung. In der ganzen Welt war nur diese Decke real; sie war ein Anker in der Realität: wenn Jane sie losließe, stürzte sie kopfüber in ihre Vision und wäre auf immer verloren.
Rooster schlug ihr auf die Schulter. »He, Schlaffi, was is’ los mit dir?«
Sie zuckte mit den Schultern und war wieder im Klassenzimmer. Der Kinderfänger nahm das Stück Tuch von der Nase und starrte sie direkt an. Er hob einen langen Arm, wobei Manschettenknöpfe zum Vorschein kamen, deutete in Richtung letzte Reihe und ergriff zum erstenmal das Wort.
»Du! Junge Dame. Bitte steh auf!«
Gelähmt vor Furcht sah Jane zu, wie das Mädchen unmittelbar links neben ihr zitternd aufstand. Es war Salome.
Der Kinderfänger starrte sie an. Eine Augenbraue hob sich spöttisch, und die Nasenflügel blähten sich leicht, als wäre etwas an der Situation, das er nicht völlig verstand, das er jedoch ganz bestimmt herausbekäme. Er wollte einen Schritt voran tun.
Plötzlich furzte jemand.
Es war ein abscheuliches, langgezogenes Ungeheuer von Furz, der alle Blicke zur ersten Reihe zog. Er roch nach Methan und wilden Zwiebeln, die dick über eine Grundlage aus gekochtem Kohl geschmiert waren, und hatte einen Beigeschmack von Schwefel, der in der Nase stach und dem Ganzen Tiefe verlieh. Die Luft nahm eine sichtbar grünliche Färbung an, während er sich langsam über den Raum ausdehnte. Einige Mädchen kicherten nervös und schlugen die Hände über den Mund. Die unverschämteren Elfen hielten sich die Nase zu.
»Mister Hebog!« rief Grunt empört.
Strawwe, wieder in die Existenz zurückgekehrt, hatte bereits die erste Reihe erreicht und mit einem Ruck den um sich schlagenden Zwerg aus seinem Stuhl gerissen. Grunt packte den anderen Arm, und beide knallten ihn mit voller Wucht gegen die Tafel. Es krachte fürchterlich, und von der Stelle, wo sein Schädel den Schiefer getroffen hatte, erstreckte sich zickzackförmig eine dünne Linie.
Der Kinderfänger beobachtete das Geschehen mit einem höflich objektiven Lächeln.
Grunt trat beiseite, und Strawwe zog den Zwerg am Kragen auf die Beine. Er hielt ihn so hoch, daß Hebog mit rotem Gesicht und schluckend auf den Zehenspitzen stehen mußte. Ruckzuck wurde er aus der Tür in Richtung
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