Die Tochter des stählernen Drachen
hab was zu erledigen, muß wo hin. Noblesse oblige , weißt du. Wo hast du Hebog zuletzt gesehen?«
Sie wies die Richtung, und Salome war wie ein geölter Blitz davon. Jane senkte gerade den Arm, da erweiterte sich die von der jungen Fee hervorgerufene Kielwelle und enthüllte drei Gestalten mit zusammengesteckten Köpfen: Feather, der angewandte Astronomie lehrte, Grunt und der Kinderfänger.
Wie die anderen unterbrachen sie ihr Gespräch, als sie Jane sahen, und suchten ihren Blick. Der Kinderfänger nickte liebenswürdig und winkte sie mit dem gekrümmten Finger heran.
Sie rannte davon.
Das Schicksal nahm eine neue Wendung. Tore öffneten sich, Tore schlossen sich. Eine leere Passage tauchte vor ihr auf, und an ihrem Ende stand Ratsnickle.
Jetzt mußte sie zu ihm. Er faßte sie beim Arm, und sie verließen gemeinsam den Rasen und gingen in das schattige Unterholz, das ruhig am Rand wartete. Ein Trampelpfad führte hinein. Belaubte Bäume streiften sie.
Im Schutz der grünen Schatten ließ Ratsnickle ihren Arm los. Sie standen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er hakte die Daumen in seinen Gürtel. »Nun?«
»Nun was?«
»Du bist mit Peter zusammen, nicht wahr?«
»Du meinst beim Freudenfeuer? Ist wohl so.«
Ratsnickles Gesicht verzerrte sich. »Dieser Saukerl! Er ist mein Freund gewesen. Schöner Freund! Ich hab ihm vertraut, und dann geht er hin und stiehlt mir mein Mädchen.«
Jane war verdutzt. »Wovon redest du eigentlich? Ich bin niemals dein Mädchen gewesen.«
»Aha«, sagte Ratsnickle. »So steht’s also, hm?« Er rückte enger an Jane heran, und sie wich zurück. Er kam näher, und sie wich etwas weiter zurück. Einen wilden Augenblick lang dachte sie, dies würde immer so weitergehen, bis sie rückwärts durch den ganzen Wald gelaufen wären. Dann knallte sie mit dem Rücken gegen einen Baumstamm. Ratsnickle kicherte freudlos. »Okay. Jetzt rechnen wir ab.«
»Ich hole Hilfe«, flüsterte jemand Jane ins Ohr. Aber als sie einen raschen Blick über die Schulter warf, war niemand da. Die Worte waren aus dem Nirgendwo gekommen und so leise gewesen, daß Jane im selben Augenblick, da sie ausgesprochen wurden, daran zweifelte, sie wirklich gehört zu haben. Eine Halluzination.
»Dreh den Kopf nicht weg. Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!« Ratsnickle packte Jane bei der Bluse und zog sie an sich. Die Bluse war aus Leinen, und weil Jane Angst hatte, sie würde reißen, faßte sie den Stoff zu beiden Seiten seiner Faust und folgte seinen Bewegungen. Er schwang sie hin und her wie ein Terrier, der mit einer Ratte spielt. Was ihn anscheinend nur um so wütender machte.
»Du Hure! Du Schlampe!« Eine Träne lief ihm über die gerötete Wange und wurde von einem Mundwinkel abgelenkt. Die Augen waren fast in dem verzerrt grinsenden Gesicht verschwunden.
Plötzlich wurde Jane klar, daß sie um Hilfe rufen sollte. »Hilfe!« rief sie, aber viel zu schwach. Sie kam sich mächtig dumm vor, wie eine Schauspielerin, die in einem schlechten Stück Verse sprach und deren Vortragsweise alles andere als überzeugend war. »Jemand soll mir helfen!«
Ratsnickle ließ ihre Bluse los und schlug ihr ins Gesicht.
Es schmerzte. Sie knallte mit dem Kopf gegen den Baum hinter ihr, und ihr Hut rutschte ins Gras hinab. Zweige rupften an ihrem Haar. Ihre Beine verhedderten sich, sie fiel zu Boden.
Er wird mich vergewaltigen, dachte sie nüchtern. Jetzt wird mich Melanchthon retten müssen. Er hat mir das Versprechen abgenommen, keinen Sex zu haben. Wenn das geschieht, bin ich für ihn wertlos.
Aber sie verspürte keinerlei Anzeichen, die auf die Anwesenheit des Drachen hingewiesen hätten. Seine Aufmerksamkeit war anderswohin gerichtet. Sie versuchte, ihn zu rufen, konzentrierte sich auf seinen geheimen Namen, seine Operationscodes, auf das, woran sie sich in ihrer Hysterie von seinen Schaltdiagrammen erinnerte. In der Hoffnung, die Entfernung wäre nicht zu groß, kreischte sie schweigend, er solle herkommen.
Nichts.
Ratsnickle zupfte an ihrem Gürtel. Sie hielt ihn mit beiden Händen fest, so daß er ihn nicht öffnen konnte, und er schlug sie erneut. Diesmal in den Magen. Was dazu führte, daß sie mit einer Hand loslassen mußte, doch sie brachte es fertig, mit der anderen wütend festzuhalten. Er versuchte, ihr die Finger zurückzudrücken. Nasse, hämische Schluchzer stiegen ihm tief aus der Kehle. Sie krallte nach seinem Gesicht. Das hier war nichts weiter als das letzte einer Reihe
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