Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
Vom Netzwerk:
Stelle suchen, wo der Rost nich so schlimm is. Sagen wir, oben in der Nähe der vorderen Flanke.«
    Eine halbe Stunde später sah der vordere Kotflügel ziemlich gut aus. Nicht makellos, aber ein paar Schichten Farbe, um ein paar Unebenheiten auszugleichen, und er wäre großartig. Jane fühlte sich ebenfalls ein wenig besser. Das konnte handwerkliche Arbeit bewirken. Gegen produktives Handeln ließ sich nichts sagen. Es füllte einem den Kopf, beruhigte die Nerven und hinderte einen am Nachdenken.
    »Ja, Mädel«, sagte Ragwort. »Da du jetzt diesen ganzen in dir schwirrenden Ärger aus deinem System raus hast, wird es dir wohl nichts ausmachen, mir zu sagen, was dich zwickt?«
    »O Ragwort. Es ist alles zu kompliziert, und du kennst nicht mal die daran beteiligten Leute.«
    »Wie zum Beispiel wen?«
    »O Mann, Ratsnickle, Grunt, der ...«
    »Ich und Grunt nicht kennen! Mensch, wir sind alte Kumpel! Weißte, letztes Jahr is er in die Werkstatt gekommen, da hab ich einige meiner Kriegserlebnisse zum besten gegeben, und hat allen Ernstes behauptet, ich wär niemals ’n Kampfmodell gewesen. Dieser kleine Wichser hat behauptet, ich hätt niemals ’ne Aktion gesehen. Da hab ich ihm aber ’ne Aktion gezeigt. Bin ihm auf den Fuß getreten und hab ihm drei Knochen gebrochen. Seitdem is er nich mehr gekommen.«
    Jane unterdrückte ein Lachen. »Wirklich?«
    »Jetzt alle zusammen, Kinder.« Ragwort gelang eine grobe, jedoch erkennbare Imitation von Grunts Stimme. »Die vier Ärsche: Arschficker, Arschgesicht, Arschloch und einfach nur Arsch.«
    Jane lachte, bis sie sich verschluckte, und selbst dann konnte sie nicht aufhören. Der Lachschwall ergoß sich aus ihr heraus, als wären aller Schmerz und alle Furcht in ihr in einen Strom aus Gelächter verwandelt worden. »Nein, bitte!« keuchte sie.
    »Schon besser«, sagte er. »Trockne dir die Tränen, Mädchen. Scheiß doch auf sie, wenn sie keinen Spaß verstehen.«

9

    »Ich habe ein bißchen herumgerechnet«, sagte Jane. »Weißt du, wieviel Arbeit man zu deiner völligen Wiederherstellung in dich hineinstecken muß?«
    Der Drache gab keine Antwort. Wie gewöhnlich beobachtete er die Meryons. Kolonnen winziger Soldaten marschierten in den Kampf. Revolvergroße Kanonen und andere Kriegswerkzeuge wurden von Maschinen gezogen, die nicht größer als Mäuse waren. Ihre Panzer waren Wunder der Miniaturisierung. Rauchfädchen stiegen von den Tempeln empor.
    »Jahre!«
    Keine Antwort.
    »Jahrzehnte!«
    Keine Antwort.
    »Jahrhunderte!«
    Schweigen.
    Sie öffnete das Zauberbuch und zitierte: »Neunundsiebzig Jahre spezialisierter Arbeit benötigt man für jeden Drachen der Moloch-Klasse. Dies schließt die Bewaffnung oder die Überwachungs- und Kommunikationsgeräte nicht mit ein, die nach der Fertigstellung in die Zentraleinheit eingebaut werden.« Ihre Stimme ging leicht in die Höhe. »Wenn man die Arbeit mit einrechnet, die in die Herstellung vorgefertigter, von Zulieferbetrieben erworbener Bauteile eingeht, wären es insgesamt eher sechsundachtzig Jahre.« Sie schlug das Zauberbuch zu. »Sechsundachtzig Jahre! Ich erinnere mich daran, wie Peter einmal drei Tage damit verbracht hat, die Verdrahtung an einem Pferd wieder hinzubekommen, das er zu reparieren versuchte. Und wir reden hier von etwas, für dessen Einbau man ursprünglich vielleicht zehn Minuten benötigt hat.«
    Ein Pappelblatt taumelte auf einer kühlen Brise durch das Kabinenfenster. Das Blatt war gelb und von der Form einer Speerspitze. Der Wind warf es Jane in den Schoß. Es schien wie ein Omen. Wofür, wußte sie nicht.
    »Du hast mich angelogen.« Der Blick des Drachen war auf die Ströme von Gefangenen fixiert, die sich zu den Außenmauern der Tempel hinaufwanden. Dort oben erwarteten sie Priester, die unsichtbare Dolche in Händen hielten. Die Tempel bildeten einen Halbkreis und waren alle dem Drachen zugewandt; aus einer gewissen Perspektive sahen sie aus wie stilisierte geometrische Darstellungen seines Gesichts. Es bestand eine krankhafte gegenseitige Abhängigkeit zwischen Melanchthon und den Meryons; er gab ihnen die Materialien, die sie für ihre Industrie haben wollten, und sie ihrerseits befriedigten sein ungeheures Bedürfnis nach Ablenkung. »Du hast mich zu dem Versprechen veranlaßt, dich zu reparieren, aber das ist unmöglich, und du weißt es. Damals hast du es gewußt. Warum habe ich es trotzdem versprechen müssen?«
    Keine Antwort.
    Sie stürmte durch den Eingang, ließ die Luke offen

Weitere Kostenlose Bücher