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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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nicht wunderbar?«
    »Ja, großartig«, sagte Peter. Er war seit der Ankunft schweigsam gewesen. Er teilte die Vorhänge, machte mit den Fingern einen Sehschlitz in die Rollos und ließ sie wieder zuschnappen. »Verdammt gute Aussicht.«
    »Oh, nun sei doch nicht so!« Gwen zog eine Schublade auf und holte unter einem Schleier von Spitzenunterwäsche eine kleine silberne Schnupfdose hervor. »Ein bißchen Feenstaub wird dich wieder aufmöbeln.« Sie hob einen rahmenlosen ovalen Spiegel hoch. Die drei setzten sich auf die Bettkante.
    Der Spiegel war in ihren Händen wie ein Bergsee und ihr Spiegelbild eine wunderschöne Erscheinung, die in seinen Tiefen ertrank. Sie legte drei Linien Feenpuder aus, nahm einen Strohhalm und sog eine Linie in drei gleichmäßigen damenhaften Zügen ein. »Ahhh!«
    Peter nahm ihr Spiegel und Strohhalm ab und machte sich an die zweite Linie. Er reichte beides weiter an Jane, die auf das eigene furchtsame Gesicht hinabsah. Sie faßte den Strohhalm, wie Gwen ihn gehalten hatte, und atmete tief ein.
    Eine Streuung feines Pulvers traf den hinteren Rachenraum. Ihre Augen öffneten sich weit, und dann wurde die Welt sehr klar. Es war, als hätte ein Fieber nachgelassen und als hätte sie erst jetzt bemerkt, daß sie überhaupt daran litt. Sie beugte sich vor, um den Rest einzuziehen.
    »Paß auf!« Gwens Hand schoß vor, um Janes Haar von dem Staub wegzuziehen. »Hast du eine Ahnung, wieviel dieses Zeug kostet?«
    »Dich kostet es ein Vermögen«, brummte Peter mürrisch.
    »Vielen Dank, Mister Sonnenschein.« Gwen sah finster drein, streckte daraufhin impulsiv die Arme aus und drückte ihn an sich. Mit einem schelmischen Grinsen fragte sie: »Hab ich dir je erzählt, wie Peter und ich uns kennengelernt haben?«
    »Oh, das möchte sie bestimmt nicht hören.«
    »Doch, möchte ich! Bitte!«
    »Nun ja. Als ich jung war ...« Gwen hielt zwei Finger hoch; vor zwei Jahren, meinte sie, »... lebte ich in einem absoluten Loch. Auf einem Wohnwagenplatz, wenn du dir das vorstellen kannst, am Rand eines Sumpfs. Die Moskitos dort waren furchtbar, und in den Bäumen lebten weiße Affen, die schossen herab und schnappten sich einen, wenn man zu spät am Abend hinausging. Sie konnten dir Finger und Zehen und die Ohren vom Kopf abbeißen. Ich hab ein Mädchen gekannt, das ihre Nase eingebüßt hat.« Sie schauderte anmutig.
    »Ich war so unglücklich dort. Ich besaß rein gar nichts von Wert. Und dann eines Tages ...« Sie schwieg. Sie hob das Kinn und starrte in eine ferne Vergangenheit.
    In Jane kribbelte es vor Energie. Ihr rechtes Bein zitterte, und ihr Herz raste. Es bedurfte größter Willensanstrengung, nicht auf dem Bett auf- und abzuhüpfen. Gwens Gesicht war so lieblich im Profil, so rein und konzentriert. Jane beugte sich vor. Sie war begierig, mehr zu hören. »Was ist geschehen?«
    »Hm? Nun, ich schätze, nichts ist geschehen. Wenn du mit ›geschehen‹ einen Vorfall oder eine Bemerkung meinst, wodurch ich es endlich geschafft hätte.« Sie klopfte noch etwas von dem Feenstaub auf den Spiegel, beugte sich wieder darüber und hackte ihn mit einer vergoldeten Rasierklinge fein. »Aber es ist mir einfach zuviel geworden. Es war immerzu dasselbe, siehst du. Ein Tag war wie der andere. Es war alles grau, grau, grau.
    Also bin ich in die Sümpfe hinausgegangen.«
    Sie schnupften noch ein wenig Staub.
    »Auf der Rückseite des Wohnwagenplatzes verlief ein kleiner Pfad, dem man folgen konnte. An den Rändern lagen überall kaputte Kühlschränke und Betonschutt. Man geht daran vorüber, und dann kommen alle diese kleinen Tümpel, wo sie Chemieabfälle hineingeworfen haben. Einige der Tümpel haben so eine braune Kunststoffkruste, und andere versuchen, einem nachzuströmen, wenn man herumtrödelt. Einige sind von einem wunder-wunderschönen Türkisblau, und wenn man lang genug hineinblickt, steigen Dämpfe aus dem Wasser und töten einen. Aber wenn man immer weiter geht, erreicht man ein noch fast unverdorbenes Gebiet. Dort sind die Tümpel, wo die schwarzen Äpfel wachsen. Sie reichen endlos weit hinab, bis ins Herz der Erde.«
    »Schwarze Äpfel?«
    »Ja. Ich habe eine Stunde gebraucht, dorthin zu kommen, und bis dahin war ich völlig zerkratzt und verschwitzt. Aber ich habe einen dieser Tümpel gefunden. Es war sehr ruhig dort, und die Oberfläche des Wassers war so glatt wie Glas.
    Ich habe mich umgesehen, um mich zu vergewissern, daß niemand herschaute, und meine Sachen ausgezogen. Eine

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