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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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haben. Das weißt du, nicht wahr?«
    Sie schüttelte verblüfft den Kopf.
    Strawwes Augen waren rund wie Murmeln und wölbten sich aus dem Gesicht heraus. Ein schwacher Duft nach Muskatnuß stieg ihm aus den Achselhöhlen. »Es gibt was Besseres als Diebstahl«, sagte er. »Ich werd’s dir beibringen.« Er beugte sich zu ihr herab und sog tief die Luft ein. »Du weißt, was ich vorschlage. Ich rieche es.«
    Er log nicht. Soviel war Jane klar. »Ich soll also ein ... wie Sie werden.«
    »Ein Spitzel, ja. Treffen wir ein Abkommen: Ich melde dich nicht wegen Diebstahls. Du erhältst das Stipendium. Ich werde dein Mentor sein. Du wirst alles tun, was ich dir sage.« Gleichmütig begegnete er Janes entsetztem Blick. »Es ist einfach. Du wirst Salome und den Zwerg verraten und der Sekretärin sagen, was sie getan haben. Ich werde ihnen sagen, daß du dich geändert hast. Dich gebessert hast. Sie werden es glauben. Sie glauben alles, was ich sage.«
    »Das könnte ich meinen Freunden niemals antun!«
    »Wenn du’s nicht tust, werd ich’s tun.«
    Erneut sah Jane, daß er nicht log. Hebog und Salome würden leiden, gleich was sie tat. Wenn sie andererseits mit ihm zusammenarbeitete, bestand eine Chance, etwas aus den Trümmern zu bergen.
    »Und um das Abkommen zu besiegeln, wirst du mir deinen wahren Namen sagen, und ich sage dir meinen.«
    »Aber das ist ...« Unmöglich, wollte sie sagen.
    »... dauerhaft. Ja, ich weiß.« Er starrte sie an, glotzäugig und ohne zu blinzeln. Die Arme hingen ihm schlaff an den Seiten herab. »Du kannst zur Universität, wenn du möchtest. Ich werde dir folgen. Wo immer du hingehst, da werde ich sein, näher als der engste Freund, den du je gehabt hast. Wir werden dieselben Bücher lesen. Wir werden aus derselben Schüssel essen. Wir werden dasselbe Bett teilen.«
    Blitzartig ging Jane auf, wie einsam Strawwe sein mußte. Er wurde verhöhnt und gefürchtet von seinesgleichen, toleriert, jedoch verachtet von der Verwaltung. So weit entfernt war er von jeglicher normalen Beziehung, daß er sogar nicht mehr wußte, wie er mit ihr reden mußte, daß er sie bedrohte, wo er hätte überzeugen sollen, daß er hart war, wo er hätte lächeln sollen. Was bedeutete, daß sein Angebot ernst gemeint war.
    »Ich werd’s nicht tun!« sagte sie aufbrausend.
    Er musterte sie von oben bis unten. Sie zitterte. Er schnüffelte an ihrem Scheitel, an ihren Knien, an - sie sprang zurück - ihrem Schritt. »Du weißt nicht genau, was du tun wirst«, sagte er. »Ich geb dir Zeit bis morgen früh. Entscheide dich. Ich werde deine Entscheidung riechen, wenn du hereinkommst.« Er hielt die Mondbrosche hoch - Jane hatte sie fast vergessen - und fügte hinzu: »Die werde ich als Pfand behalten.«
    Er steckte sich die Brosche in den Mund, drehte sich um und ging.

    »Töte ihn«, sagte sie. »Für dich ist das doch ein Klacks!«
    Melanchthon sagte nichts.
    Draußen zeichneten aktinische Lichter die Umrisse der Verteidigungslinien der Meryons nach, und Maschinen bewegten sich in den Schatten. Der Drache starrte blind zu Boden, aber unterhalb seiner bewußten Weigerung zu sprechen verspürte Jane wirbelnde Kraftströme, die Resonanz eines elektromagnetischen Ärgers. Sie besaß seinen Namen. Sie konnte ihn bändigen; da sie dies einmal getan hatte, war sie davon überzeugt. Aber früher oder später würde sie die Kabine verlassen müssen, und dann stünde es ihm frei, die Gewalt seiner Wut gegen sie zu richten. Sie war nur so lange sicher, wie sein Bedürfnis nach ihr seinen Ärger überwog.
    »Sieh mal. Er möchte mit mir schlafen. Du hast mir doch das Versprechen abgenommen - keinen Sex, erinnerst du dich? Er verändert die Ladung der Aura, hast du gesagt, und ich könnte deine Elektronik nicht reparieren, es gäbe ein völliges Durcheinander. Erinnerst du dich?«
    Es war so nutzlos. Jane stapelte ihre Schulbücher wieder auf der Pilotenliege und zog sich das Nachthemd über. Sie klappte den Futon auf und legte die Laken und eine leichte Decke auf, und eine schwerere Wolldecke faltete sie - nur für alle Fälle - am Fußende zusammen. Die Nächte waren seit kurzem kühler geworden. Das entsprach der Jahreszeit.
    Sie legte sich zum Schlafen nieder.
    Sie hatte die Augen geschlossen, doch der Schlummer wollte nicht kommen. Statt dessen jagte sie immer und immer wieder dem alten Rätsel nach, weshalb der Drache schwieg. Vielleicht schämte er sich, weil er von jemandem mit menschlichem Blut gebändigt worden war, und das

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