Die Tochter des stählernen Drachen
eng beieinander, identische Wesen wie Kinder mit ausdruckslosen Gesichtern. Geduldig warteten sie darauf, daß Jane spräche.
Das wollen wir doch mal sehen, sagte Jane, jedoch stumm und nur zu sich selbst.
11
Erst als sie ihren Spind leerte, fiel Jane auf, wie zugewachsen er war. Orchideen und Dschungelranken füllten den größten Teil des Innenraums, und ein Kolibri entfloh in den Korridor, als sie knallend die Tür öffnete.
»Ich versteh nicht«, sagte Strawwe. »Sollen wir dir die Papiere zur Universität früh nachschicken, ist es das?«
Am Boden hatte sich ein Mulch aus korrigierten Hausaufgaben, alten Klassenarbeiten und vervielfältigten Unterrichtsmaterialien gebildet, worin Pilze und Farne sprossen. Einige ihrer Bücher waren zu vermodert, um wiederhergestellt zu werden. Ein winziges Tier huschte davon, als sie nach ihrer Haarbürste griff, wobei der Bambus wie ein Xylophon klapperte.
»Wenn du möchtest, kannst du diese Examensunterlagen haben. Ich werde sie nicht brauchen.«
Strawwe tanzte besorgt von einem Fuß auf den anderen und versuchte, ihre volle Aufmerksamkeit zu erlangen. Es war mitleiderregend, wie sehr er gefallen wollte. Mit dem Umschwung ihres Geschicks war sie für ihn ein Objekt der Furcht und des Geheimnisses geworden. »Für einen normalen Wechsel ist es ein wenig spät im Jahr, aber wir könnten dich möglicherweise in einem Sonderstatus einschreiben.«
»Tun Sie, was Sie wollen.«
Ein weißes Blatt Papier lag auf ihren Sachen auf der Bücherleiste. Jemand hatte eine Notiz durch die Luftspalte rutschen lassen. Jane öffnete es:
›Ich weiß, du bist wütend auf mich. Aber ich glaube noch immer, wir geben ein gutes Paar ab. Ich kann ohne dich nicht glücklich sein. Versuchen wir’s doch noch mal. Warum geben wir uns nicht einen Kuß und holen alles nach?‹
Es war nicht unterschrieben, doch nur Ratsnickle konnte so etwas eingefallen sein. Unwillkürlich wallte Ärger in Jane hoch. Sie zwang sich jedoch dazu, kühl zu lächeln, und murmelte, nur für die eigenen Ohren bestimmt: »Träum weiter!«
»Die Sekretärin meinte, wir sollten eine kleine Feier veranstalten. Nichts Besonderes, vielleicht ein Tee am Nachmittag. Nur du, ich, sie und einige Lehrer, die für dich bedeutende Mentoren gewesen sind. Ich könnte eine in Schönschrift verfaßte Urkunde anfertigen lassen. Oder eine Plakette.«
»Wir werden sehen.« Sie schloß den Spind ein für allemal.
»Genau das werde ich tun«, rief er hinter ihr her. »In Ordnung?«
Auf dem Weg nach draußen traf sie Trinch, der grinste und dabei seine achtzig Zähne zeigte. Er hatte jetzt nur zwei Augen, obgleich deren Farben nicht übereinstimmten, und sein mittleres Bein war so weit verkümmert, daß er es aufgerollt in seinen Jeans tragen mußte. Da seine Metamorphose alles andere als vollständig war, war er so potthäßlich wie eh und je. Doch seinem zufriedenen Auftreten nach zu schließen hatte er das wohl beabsichtigt.
»Jane! Toll, dir über den Weg zu laufen.« Er legte ihr einen Arm um die Schulter, und sie stieß ihn weg.
»Nichts da! Ich kenne deine Tricks!«
Er nahm die Abfuhr mit viel Charme hin. »He, ich bin gerade oben bei deiner Bude gewesen und habe zugesehen, wie die Kammerjäger Köder ausgelegt haben. Überall sind kleine Warnflaggen aufgestellt.«
»Tatsächlich?« Jane war nicht sonderlich interessiert.
»Jup, ich hab mit einem von ihnen gesprochen, und er hat gesagt, es gäbe einen wirklich häßlichen Befall von Meryons in der Gegend da. Hat gesagt, er käme in ein oder zwei Tagen wieder, um ihre Baue mit Giftgas zu überfluten, wenn sie die Köder nicht annähmen.«
Beim Gedanken daran, daß die kleinen Burschen vergast werden sollten, wurde Jane übel. Aber jeder hatte seine Probleme, und sie hatte an näherliegende Dinge zu denken. »Danke für die Mitteilung«, sagte sie. »Ich werd in den nächsten paar Tagen besonders vorsichtig sein und nichts essen, was am Boden liegt.«
Dann war sie draußen in der frischen Herbstluft und trug einen Arm voller Sachen bei sich, die sie nach Hause zum Drachen bringen wollte. Die Schule lag hinter ihr. Ich werde niemals hierher zurückkehren, dachte sie bei sich. Niemals. Aber sie verspürte nichts, und für krampfhaftes Selbstmitleid war keine Zeit.
Sie mußte noch einiges für diesen Abend vorbereiten.
Jane klopfte an Peters Tür.
»Komm rein!« sagte er.
Weil es Samhain-Abend und der letztmögliche Tag für Änderungen war, trug Peter seinen
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