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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Sie schob ihm die Zunge in den Mund, was sie sich zuvor nicht getraut hatte. Es war ein seltsames, unmöglich seltsames Gefühl.
    Peter zog den Mund weg. »Es bedeutet Nadel.«
    Jane schloß die Augen, überschwemmt von Erinnerungen an Rooster, den armen, verdammten und verstümmelten Rooster, dessen wahrer Name ebenfalls Nadel bedeutet hatte. Tetigistus. Die beiden teilten einen einzigen wahren Namen, und sie wußte nicht, was das zu bedeuten hatte, aber es erschreckte sie bis tief ins Innerste. »Ja«, sagte sie kläglich. »Ja, ich weiß.«

    Am nächsten Tag wurden sie gegen Mittag von einem lauten Klopfen an der Tür geweckt. Ehe Jane richtig wach wurde, sprang die Tür auf, und das Zimmer füllte sich mit Elfen. Es waren anscheinend Dutzende Elfen, die alle strenggeschnittene Anzüge und maßgefertigte Schuhe trugen. Sie starrten angeekelt aufs Bett hinab.
    »Wir brauchen ein anderes Opfer«, sagte einer schließlich.
    »Wo sollen wir denn jetzt noch ein anderes Opfer auftreiben?«
    »Vielleicht haben sie nicht ...«
    Eine gutaussehende Frau mit dem Schwanz und den Ohren eines Esels kam aus dem Badezimmer. Sie trug die Goldlamé-Jacke an einem Bügel und sagte: »Oh, sei doch vernünftig. Natürlich haben sie - sieh sie dir doch an! Was für ein Schlachthaus!«
    »Verdammter Schlamassel!«
    Jane zog sich das Laken übers Kinn. Ihr knurrte der Magen, und außerdem mußte sie zur Toilette. Der
    Schmerz im Kopf war schlimmer, als sie sich je vorgestellt hätte. Ein kreideweißer Elf rümpfte die Nase und sagte: »Es sind immer die spottbilligen kleinen Flittchen, die sie zu Fall bringen.«
    »He, jetzt wart aber mal!« Peter setzte sich mit geballten Fäusten und blitzenden Augen auf.
    Ohne auch nur hinzusehen, versetzte ihm der Elf einen Schlag mit dem Handrücken und warf ihn dadurch ins Bett zurück. Jane kreischte.
    »Dieses Tomte-Kind unten an der Landzunge. Wir können die medizinischen Tests durchführen und es bis heute abend vorbereiten, wenn wir uns beeilen.« In einem Wirbel aus Anzügen, Seide und Aktentaschen waren sie verschwunden. Sie nahmen die Sichel mit.
    Peter setzte sich auf und barg den Kopf in den Händen.
    »Was soll ich tun?« jammerte er. »Was kann ich tun?«
    Jane war zu verkatert, um groß von Nutzen zu sein. Sie mußte ins Bad, und sie hatte den Verdacht, daß sie sich übergeben würde. Aber sie tat ihr Bestes. »Sieh mal«, sagte sie. »Was geschehen ist, ist geschehen. Die vergangene Nacht ist Geschichte, und es gibt keine Umkehr. Wir müssen einfach nur das Beste draus machen, stimmt’s?«
    »O Jane, es tut mir so leid, daß ich dich in diesen Schlamassel mit reingezogen habe. Was für ein Trottel bin ich gewesen! Es ist alles meine Schuld«, sagte er gequält. Es wäre komisch gewesen, wenn es nicht so ernst gewesen wäre.
    »He, betrachte doch mal die Sonnenseite. Wenigstens bleibt dir dein« - sie hätte fast ›Schwanz‹ gesagt, brachte es jedoch fertig, dem Satz eine andere Wendung zu geben - »Leben erhalten. Jetzt mußt du nicht als heiliger Eunuch durchs Leben gehen. Das ist ein bißchen vorübergehendes Unglücklichsein wert, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Peter wenig überzeugt. »Sicher.«

    Der Nachmittag war endlos und grau. Peter, der Gwens zahllose Kater mitgemacht hatte, gab Jane einige Vitamine und achtete darauf, daß sie viel Wasser trank. Er war deprimiert und wortkarg, und Jane wußte, sie sollte ihn aufmuntern und hätscheln, aber in Wahrheit war ihr fast ein wenig gehässig zumute. Es war so etwas wie ein Sieg über ihr eigenes Ich, daß es ihr gelang, alles nicht noch schlimmer zu machen.
    Damit sie nicht tatenlos herumsaß, machte sie sich daran, die Wohnung von allen Spuren ihrer vorherigen Besucherin zu säubern. Es war nicht leicht. Gwen hatte eine überraschende Anzahl ihrer Besitztümer hinterlassen, und alle haßten Jane. Haarklemmen flohen vor ihren zupackenden Fingern. Ein Haartrockner sprühte Funken und schnappte nach ihr, wann immer sie ihm nahe kam. Das Seidentuch, das sie vor so langer Zeit gestohlen hatte, schlang sich ihr um den Hals, und sie mußte es wegreißen. Glücklicherweise war es schwach, denn es hatte sie wirklich erwürgen wollen. Sie warf alles in die Mülltonne draußen auf der Straße.
    Irgendwann - Peter war unter der Dusche - holte sie die Mutter heraus und ging den Klatschrhythmus durch. Jeden Tag, hatte Peg gesagt, ohne Ausnahme. Am Abend hatten sie sich beide genügend erholt, daß sie etwas aus der Mikrowelle essen

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