Die Tochter des stählernen Drachen
Er sagte, dies sei ein Beweis dafür, wie gefährlich unbeaufsichtigter Spaß sein könne, und schlug vor, sie sollten alle lange und gründlich über diese Lektion nachdenken.
Aber in den Fluren hieß es anders. Zwischen den Stunden schlingerten Trotter-und-Stinch in ihrem steifen dreibeinigen Gang zu Jane. Das mittlere Auge war inzwischen fast völlig vom Fleisch verschluckt und hatte ein etwas gequältes Aussehen an sich. Sie grinsten großspurig. »Was von Salome gehört?«
»Nein«, sagte sie. »Nur, was man uns gesagt hat.«
»Sie ist schwanger. Sie haben sie zu einem Pflegeheim geschickt, und sie wird niemals zurückkehren. Und rate mal, wer dran schuld ist - kein anderer als Hebog!«
»Woher wißt ihr das alles?«
»Ist kein großes Geheimnis - Strawwe erzählt es jedem, der es hören will.«
An jenem Nachmittag fand Jane Hebog draußen hinter der Schule neben dem Footballfeld. Er hatte kleine Steine vom Weg aufgehoben und legte sie zu einer ordentlichen Reihe. Er benutzte einen Stock als Golfschläger und schlug die Steine einen nach dem anderen in die Luft. Er sagte, er habe eine Vorladung vor das Unterste Gericht.
»Was werden die mit dir machen?«
Hebog hob die Schultern, nahm einen weiteren Stein aufs Korn, holte aus und schlug den Stein davon. »Ich weiß es nicht. Vielleicht mir einen Vertrag mit einer Fabrik verschaffen. Es ist ein ernsthaftes Vergehen, mit euch großen Scheißtypen zu verkehren. War nicht beabsichtigt.«
»Hebog, hör mal. Ich möchte, daß du weißt ...«
»Ich möcht’s nicht hören. Scheiß doch auf dein Mitleid. Das sind die Tatsachen, und es soll sich - bitte schön! - niemand mit billigem Mitgefühl darüber lustig machen, klar?«
Also ging Jane nach Hause und stöpselte sich in den Drachen ein. Sie hatte den Versuch aufgegeben, ihn zum Reden zu bringen, aber es gefiel ihr noch immer, den Meryons bei der Arbeit zuzuschauen.
Über die Gemeinschaft der Meryons waren schwere Zeiten hereingebrochen. Mit Einsetzen des kalten Wetters war die Nahrungsbeschaffung schwierig geworden, und da sie selber keine Landwirtschaft hatten, waren sie nach und nach davon abhängig geworden, ihre Nachbarn zu berauben. Sie hatten keine Kornspeicher oder Lagerhallen, die der Rede wert gewesen wären. Ihre Armeen hatten das umgebende Land bis halb hinunter zur Schule gesäubert. Daher waren ihre Nachschublinien überbeansprucht und ihre Patrouillen verwundbarer gegenüber Guerilla-Aktionen. Die Armeeinsätze waren weitaus weniger ergiebig als zuvor.
Mit dem Zusammenbruch ihrer Ökonomie ging ein entsprechender Niedergang der Zivilisation einher. Schmucke Zinnhäuser waren schäbige Hütten geworden. Verhungernde Meryons wanderten ziellos in den Straßen umher. Militärpolizei fuhr in gepanzerten Wagen Streife. Angespannte Soldaten saßen hinter drolligen kleinen Maschinengewehren. Jane sah einen Aufstand im Miniaturformat, dem eine Durchsuchung aller Häuser des Slum-Viertels folgte, während derer Hunderte winziger Staatsfeinde aus Türen herausgezerrt und standrechtlich erschossen wurden.
Jane sah ihnen lange Zeit zu, wobei sie über die willkürlichen Grausamkeiten des Lebens nachdachte.
Samhain war nicht mehr weit, als Gwen Jane zwischen den Unterrichtsstunden abfing und ihr zwei Eintrittskarten in die Hand drückte. »Frisch aus der Druckerpresse. Es sind Sitze in der ersten Reihe, direkt an der Vierzig-Yard-Linie, zwei Stück«, schwärmte sie glücklich. »Du solltest dich wirklich mal mit einem Jungen treffen, Jane, du bist alt genug dazu. Ich weiß, du bist ein wenig schüchtern, aber es ist schon in Ordnung, einen Jungen einzuladen. Nur damit die Dinge in Schwung kommen.«
»Ja, nun gut, das ist sehr nett von dir, aber ...«
»Du könntest Ratsnickle einladen. Ich weiß, er mag dich.«
Jane verspürte am ganzen Körper eine Kälte. Es war genau wie das prickelnde Gefühl, das einen Augenblick nach einem Wespenstich durch das Fleisch geht, ehe man den Schmerz wahrnimmt. »Ich will deine verdammten Eintrittskarten nicht!« Sie schleuderte sie Gwen in die Hände zurück und stürmte davon.
Gwen holte sie ein, packte sie an einem Arm, und als Jane die Hand abschüttelte, packte sie sie bei der Schulter und schob sie in ein leeres Klassenzimmer. Sie trat die Tür hinter sich zu. »Also gut, was ist denn jetzt schon wieder?«
»Du weißt, was ist.«
»Nein, weiß ich nicht.«
»Nun, du solltest es aber wissen!« Jane kamen die Tränen.
Gwen wurde weich. Sie stieß einen
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