Die Tochter des stählernen Drachen
konnten, und Jane ging freiwillig los, Wein holen.
Während sie mit dem frischen Krug zurück zur Wohnung eilte, blieb Janes Blick wiederholt am Bild einer Gwen hängen, die in einer Reihe von Fernsehapparaten im Schaufenster eines Elektrogerätegeschäfts liefen. Gwen über Gwen über Gwen wanden sich simultan in den Flammen. Es war wie etwas, das in einer anderen Welt geschah. Die leere Straße, der Zementbürgersteig, das Glasfenster, sie alle leugneten Gwens Wirklichkeit.
Jane war wie gelähmt. Die Fernsehbildschirme lösten sich vor ihrem verschwimmenden Blick auf, sie erhoben sich wie schlanke blaue Wachskerzen und zerbrachen dann in Triaden rot-grün-blauer Partikel. Kurzzeitig schwärmten unzählige Phosphorpunkte in der Luft. Jane spürte benommen, wie sie in die Sendung hineinfiel.
Sie blinzelte die Tränen weg.
Die Bildschirme hatten wieder ihre normale Auflösung. In Gwens Feuer wimmelte es vor unterschwelligen Szenen des Grauens, flackernde Blicke auf Gefangene in Güterwagen, auf verstümmelte Körper, brennende Kinder, als wäre das Leiden eine universelle Konstante, eine nüchterne Feststellung der Existenz und nichts weiter.
Die Hände im Rücken festgebunden, drehte und wand sich Gwen, als versuchte sie, die Puppe ihres Körpers abzuschütteln. Verzweifelt arbeitete sie mit den Schultern. Der Mund war zu einem endlosen Schrei geöffnet. Eine kleine blaue Flamme brannte ihr auf der Zunge. Rauchwolken hoben sich wie Flügel über ihr.
Etwas sprudelte ihr aus den Nasenlöchern.
Entsetzt stolperte Jane weiter, spürte, wie trockenes Gras unter den Füßen kratzte. Die Fernsehsendung war so gut wie lautlos. Sie hörte lediglich die Flammen selbst, das Fauchen von Funken und das Brüllen erhitzter Luft. Gwen selbst stieß keinen Laut aus. Dafür war Jane dankbar - die Bilder, der süßliche Geruch von Fleisch, wie brennendes Schweinefleisch, und der schreckliche Geschmack im Gaumen waren schlimm genug.
Die Menge war ebenfalls unheimlich stumm. Sie spürte ihre Blutlust in den Tribünen hinter sich und zu beiden Seiten wie den bedrohlichen Blick eines tausendköpfigen Ungeheuers. Aber sie wandte sich nicht um, sah nicht hin. Sie konnte es nicht. Sie war außerstande, den Blick von der Qual ihrer Freundin abzuwenden.
Gwens Kleid war völlig weggebrannt, die verkohlten Überreste von der Haut nicht zu unterscheiden, und doch lebte sie noch immer. Schwarze Punkte stiegen von ihr auf. Eine Flocke schmierigen Rußes trieb zu Jane hinab und stach ihr in die Hand. Sie schlug sie weg. Mit ihrem Fuß stimmte etwas nicht. Sie blickte hinab und sah, daß sie auf rosafarbene Zuckerwatte getreten war, die jemand weggeworfen hatte. Reflexartig bückte sie sich, um sie mit der flachgetretenen kegelförmigen Papierhülle vom Schuh zu entfernen.
Als sie aufblickte, starrte Gwen sie direkt an.
Der größte Teil des Weidenkäfigs war durchgebrannt und abgefallen, aber sie wurde von dem Panzer aus einer hochwertigen Metallegierung, die unter der äußeren Hülle lag, aufrecht gehalten. Das Feuer hatte sie bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, sie war ein Ding aus Qual und schwarzem Knochen. Nur ihre Augen lebten. Sie starrten ihr aus dem Herzen des Schmerzes ins Gesicht, und es schien, als wüßten sie etwas Schreckliches, Einfaches und Wahres, das sie ihr mitteilen wollten.
Sie starrten direkt in den Kern von Janes Wesen.
»Nein!« Jane warf einen Arm vor die Augen und schlug sich dabei die Fingerknöchel an der Fensterscheibe auf. Sie merkte, wie sie mit einem Arm den Krug Wein an die Brust drückte. Schließlich rührte sich Gwen nicht mehr.
Als Jane wegblickte, war die Luft dunkel. Ein Licht war aus der Welt verschwunden.
Als sie in die Wohnung zurückkehrte, entdeckte sie, daß Peter den Fernseher angeschaltet hatte und starr eine kleine Gestalt in Goldlamé anblickte. Unter donnerndem Applaus blitzte die Sichel, und die Gestalt warf etwas Kleines, Dunkles in die Scheite. Hände streckten sich dem fallenden Körper entgegen.
Jane schaltete den Fernseher ab.
»Trink etwas Wein«, sagte sie. »Dann wird es dir besser gehen.«
Nachdem sie ein paar Schluck getrunken hatten, machten sie sich daran, einige zaghafte Pläne zu schmieden. Peter hatte ein Angebot, die Stelle eines Mechanikers in einer hiesigen Werkstatt anzutreten. Jane könnte einen Job im Einkaufszentrum erhalten. Es würde bedeuten, den Ladendiebstahl aufzugeben, aber auf dieses Opfer war sie vorbereitet. Die Wohnung war für den Augenblick gut
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