Die Tochter des Tuchhandlers
Wie viele Hintertüren hat sich unser Pontifex offen gehalten, seit er in Verhandlungen mit Karl steht?«
»Wenn sein Verhalten nicht so gefährlich und dumm wäre, könnte man darüber lachen.« Mit ernster Miene fuhr der Gelehrte fort: »Der Stand der Verhandlungen ist folgender: Nach der Schlacht bei Pavia haben die Venezianer dem Pontifex ein bewaffnetes Schutz-und-Trutz-Bündnis zusammen mit Frankreich und England gegen den Kaiser vorgeschlagen. Denn Clemens rechtfertigt als gemeinsamer Vater der Christen und Tröster der Gedemütigten dieses Bündnis, das de facto nichts anderes ist als Ausdruck der Angst vor dem immer mächtiger werdenden Habsburger.«
»Ein Bündnis mit Heinrich von England? Was verspricht Heinrich sich davon?«, fragte Ser Rimortelli zweifelnd.
»Die Auflösung seiner Ehe mit Katharina. Es heiÃt, dass König Heinrich seine Geliebte Anna Boleyn heiraten will. Nun, der Vertrag für das Bündnis war schon unterschriftsreif aufgesetzt und ein Kurier zum englischen König unterwegs, als ein Bote von Karl in Rom eintraf.« Alberto Mari verzog vielsagend das Gesicht.
Beatrice schüttelte den Kopf. »Der Papst hat doch nicht wieder seine Meinung geändert?«
»Ihr sagt es. Als hätte Karl das Bündnis erahnt, bietet er dem Papst plötzlich an, ihn und die Medici unter seinen Schutz zu nehmen. Clemens dachte, dass damit alle seine Probleme gelöst seien, und schickte einen Eilkurier hinter dem Boten her, der nach England unterwegs war.« Mari zog abfällig die Spitze seiner langen Nase nach unten, was ihm das Aussehen eines beleidigten Jagdhunds gab.
»Und nun?« Beatrice konnte die wankelmütige Politik des Papstes beim besten Willen nicht nachvollziehen.
Achselzuckend sagte Mari: »Noch weià ich nicht, ob der Bote gestoppt wurde. Auf jeden Fall haben die Venezianer davon Wind bekommen und sind hochgradig verärgert, denn schlieÃlich hatten sie sich bereit erklärt, eine erhebliche Summe zu zahlen, um überhaupt in die Allianz aufgenommen zu werden. Dieser Papst wird uns alle ruinieren â¦Â«
Ser Rimortelli beugte sich vor. »Dass die Markus-Republik überhaupt bereit war, so viel Geld zu opfern, um der Allianz beitreten zu können, ist eine Ãberraschung. Venedig hat lange gezögert, sich für eine Seite zu entscheiden, und jetzt dieser Affront vom Pontifex! Das wird Venedig nicht verzeihen.«
»Und wieder hat Clemens einen Verbündeten verloren«, bemerkte Margareta trocken. »Warum tut er das? Was er an Macht hatte, verspielt er!«
Der Gelehrte legte die Hände zusammen. »Angst, Monna Margareta. Clemens ist im Grunde ein von Ãngsten geplagter Mann. Immerhin ist er ein illegitimer Spross von Giuliano deâ Medici und damit faktisch als Kleriker nicht zugelassen.«
Diese Konstellation war fatal, dachte Beatrice. Clemens war tatsächlich nur der uneheliche Sohn von jenem Giuliano, der der Pazzi-Verschwörung von 1478 zum Opfer gefallen war. In ihm schwelte der Hass auf die Mörder seines Vaters, die gleichzeitig die erbitterten Gegner der Medici-Herrschaft in Florenz waren. In seinem Bemühen, die Medici wieder zu uneingeschränkten Herrschern der Stadt zu machen, übersah er, dass das Volk mittlerweile an eine Republik ohne die Herrschaft der Medici glaubte.
»Dürfen wir erfahren, was Euch nach Lucca bringt?«
»Ihr wisst nicht zufällig, wer Agozzini ermordet hat?«, fragte Mari scherzhaft, doch seine Augen blieben ernst.
Jacopino Rimortelli wiegelte ab: »Nein, Alberto, dazu können wir Euch nichts sagen.«
»Könnt nicht, oder wollt nicht?«
»Wer spricht jetzt â der Sekretär Flaminis oder unser Freund?«
Mari beugte sich vor. »Ich bin immer Euer Freund. Aber es könnte ja sein, dass Gerüchte im Umlauf sind �«
»Nein. Das ist das Kuriose an der Tat â trotz der auffälligen Umstände gibt es noch keinen wirklichen Verdächtigen. Der giudice und seine Leute haben alle und jeden verhört, aber es gibt keine Zeugen, keine Hinweise, und man muss fast annehmen, es war so, wie es aussah.« Jacopino machte eine vage Geste. »Agozzini war bekannt für seine Vorliebe für das eigene Geschlecht, und das machte ihn zu einem einfachen Opfer. Wisst Ihr denn mehr als wir?«, hakte er nach.
»Ach, alter Freund, ich bin ein Mann der Kirche geworden, weil ich studieren
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