Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hinterher geschickt, er sollte mich entführen und einsperren. So war
es doch, oder? Was hattest du mit mir vor? Wolltest du mich zur Hure machen?«
Was für
einen erbärmlichen Unsinn redete Jolanthe da? »Es ist ihm offenbar nicht gelungen,
dich eine Zeit lang sicher unterzubringen. Ich hätte wissen müssen, dass er nicht
hart genug ist, um solch ein Unterfangen vernünftig durchzuziehen. Und wenn du es
immer noch nicht verstanden hast: Nein, ich wollte dir nichts Böses. Ich will uns
retten vor deinen unüberlegten Taten. Diese Reise nach Venedig sagt doch wohl alles,
wie konntest du so etwas tun? Im Guten hab ich es versucht, dich zur Vernunft zu
bringen. Es hat nichts gebracht, was also blieb mir anderes übrig als zu handeln?«
Sie beobachtete eine Veränderung in Jolanthes Haltung, eine Abwehr. Ihr Lächeln
war verschwunden.
»Das ist
lächerlich«, sagte sie nur.
Sieglinde
spürte den stummen Widerstand der Schwester, und das machte sie wütend. Hätte sie
offen aufbegehrt, wäre es einfach gewesen, sich gegen sie zu behaupten, aber so?
»Du denkst immer nur an dich, ist dir das mal aufgefallen?«
»Nein, ist
es nicht. Aber du wirst es mir bestimmt erklären.«
»Reiz mich
nicht, ich warne dich.«
»Was geschieht
dann? Schickst du mir einen dreckigen Mörder hinterher?«
»Wir haben
kein Geld mehr. Und weißt du warum? Weil dein Eigensinn uns in den Ruin treibt!«
Sieglinde spürte, wie der Ärger sie mitzureißen drohte, und versuchte, sich ein
wenig zurückzunehmen. »Was glaubst du, warum habe ich Vico geheiratet, hm? In einer
Zeit, in der du nur deine verrückten Ideen im Kopf hattest, Vater zu krank war,
um zu arbeiten, da musste doch irgendwer der Vernunft gehorchen.«
»Wie hast
du herausgefunden, dass ich nach Venedig reisen wollte?«
»Du schadest
dem Kontor. Aber du willst ja nicht hören, was man dir sagt. Du schießt nur quer!«
Sie starrten
sich an. Sieglinde gelang es nicht, sich zu beruhigen. Sie wollte nichts mehr sagen
und konnte sich doch nicht zurückhalten.
»Meine Hoffnung
auf einen Ehemann, den ich selbst erwählen darf nach meinem eigenen Gusto, musste
ich aufgeben, weil ich der Familie gedient habe. Du hingegen bändelst mit diesem
Kaufmann Pascal an, so als sei es nichts. Gute Ratschläge hörst du dir nicht einmal
an.«
»Das ist
es also, du bist eifersüchtig?«
Sieglinde
sah mit Erstaunen Tränen in Jolanthes Augen glitzern. Das brachte sie kurz aus dem
Konzept.
»Ich versuche,
dir gerade zu erklären, warum ich dich für selbstsüchtig halte und in deinem Eigensinn
für gefährlich für uns alle«, sagte sie und fand ein Stück weit ihre Überlegenheit
zurück. »Sieh doch, du reist durch die Gegend, wer bezahlt das alles? Machst du
dich nicht viel zu abhängig von einem Fremden, wenn du ihn deine Rechnungen begleichen
lässt? Diesen Pascal schlag dir aus dem Kopf, der führt was im Schilde. Warum sonst
hat er sich zuerst um mich bemüht? Als er gemerkt hat, dass er bei mir nicht weiterkommt,
hat er auf dich umgeschwenkt. Du willst Vater erklären, wie er sein Geschäft führen
soll. Er weiß es selbst, besser als du es jemals wissen wirst. Sieh es endlich ein.
Füge dich, und alles wird wieder gut. Du hast Vater immer nur enttäuscht, meinst
du nicht, dass es an der Zeit wäre, ihm Gutes zu tun?«
»Das ist
nicht wahr!« Nun rannen Jolanthe die Tränen die Wangen hinab. Sie wischte sie nicht
weg, stand einfach nur da und blickte Sieglinde an, so als sähe sie die Schwester
zum ersten Mal. Endlich sagte sie: »Es ist wie damals bei Mutter. Du weißt alles
besser und am Ende …«
Sieglinde
öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, da schwang die Tür auf und Winald trat ein,
gefolgt von Vico.
»Was ist
das hier für ein Gezänk?«, fragte er aufgebracht. Dann sah er Jolanthe. Er nickte.
»Du bist zurück?«
Sieglinde
dankte Gott, dass er den Vater zur rechten Zeit hatte eingreifen lassen. Nun würde
Jolanthe sehen, wer hier etwas zu sagen hatte und wer nicht. Und sie war sicher,
dass am Ende die Fronten geklärt sein würden. Zu ihren Gunsten.
Jolanthe wischte sich über die nassen
Wangen und atmete tief durch. Sie hatte nicht geglaubt, dass das Zusammentreffen
mit Sieglinde so schmerzhaft für sie werden würde. Unterwegs auf der Reise hatte
sie neben ihrem Zorn auf die Schwester immer auch den Gedanken aufrechterhalten,
dass sich die Dinge irgendwie erklären lassen würden. Diese Illusion war ihr nun
vergangen. Sie wollte sich verkriechen in ihrer Kammer,
Weitere Kostenlose Bücher