Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Vico zu sehen. Cornelius begrüßte er mit einem Nicken und
den Worten: »Gut, dass du wieder da bist. Es steht einiges zum Argen. Ich kann mich
nicht um alles kümmern.«
Cornelius
hatte etwas gestammelt von Auftrag und Vico, und Winald hatte nachgehakt: »War deine
Reise wenigstens erfolgreich?«
Cornelius
bestätigte das. »Ich habe sehr viel ausgefallene Sachen für sein Ladengeschäft bekommen,
wunderschöne Gläser aus Murano. Es verhielt sich tatsächlich, wie er sagte, vor
Ort konnte ich die Dinge um ein Vielfaches günstiger erwerben.«
Diese Antwort
war der Moment gewesen, an dem Sieglinde bewusst wurde, dass ihr die Situation entglitt.
Mit Entsetzen hatte sie registriert, dass sie Cornelius’ Worte nicht entschärfen
konnte. Winald wusste nichts von Vicos Ladengeschäft. Der wollte ihm erst davon
erzählen, wenn es erfolgreich genug lief. Er hatte sie darum gebeten, Stillschweigen
zu bewahren, und sie hatte das getan. Nur nicht gegenüber Cornelius. Ein fataler
Fehler.
Sie schloss
das Fenster und trat an das nächste, um auch hier die Pflanzen zu pflegen. Erneut
rief sie sich das Zusammentreffen der Männer ins Gedächtnis. Winalds Donnerwetter
hatte nicht lange auf sich warten lassen. Natürlich musste Vico sofort erscheinen.
Cornelius und Sieglinde schickte er aus dem Raum, und da Cornelius ihr berichten
wollte, konnte Sieglinde nicht unauffällig beim Gespräch zwischen ihrem Vater und
ihrem Mann an der Tür lauschen.
Sie beschwichtigte
Cornelius, nein, er habe nichts Falsches gesagt. Dann hatte sie sich haarklein erzählen
lassen, wie er mit Jolanthe verfahren war. Er hatte seinen Bericht mit den Worten
beschlossen: »Sie wird nach einer Woche freigelassen, so habe ich es bestimmt. Bis
dahin sollten ihre Begleiter ausreichend weit weg sein. Sie sind sicher sofort aufgebrochen,
um Jolanthe zu folgen.«
Es schien
alles so einfach, und doch hatte Sieglinde seither keine Möglichkeit gefunden, dem
Vater reinen Wein über seine jüngste Tochter einzuschenken. Er regte sich immer
noch über Vico auf, hatte endlose Unterredungen mit Cornelius und nur noch Gedanken
für sein Kontor.
Es hat noch
Zeit, dachte sie. Soll er sich erst einmal wieder beruhigen und sich ohne Jolanthe
einrichten. Vielleicht würde er ja von allein einen Buchhalter einstellen. Letztlich
wollte er die Schwester ohnehin verheiraten, das zumindest hatte er gesagt, also
musste er damit rechnen, dass sie nicht auf ewig zur Verfügung stand. Das wäre ein
Ansatz, mit dem man argumentieren konnte. Allerdings fragte er nicht mehr nach ihr,
und Sieglinde sprach das Thema nicht von sich aus an. Sie wusste nicht, was er diesbezüglich
dachte.
Sie goss
die Pflanzen und blickte auf die Gasse hinunter. Als sie die Gestalt mit dem Bündel
über der Schulter auf ihre Haustür zueilen sah, glaubte sie, sich versehen zu haben.
Als hätte Jolanthe die Anwesenheit der Schwester gespürt, sah sie zu ihr hoch. Einen
Wimpernschlag lang regte sie sich nicht. Dann erschien ihr Lächeln, sie winkte und
verschwand im Haus.
Sieglinde
schloss die Augen und spürte der Erleichterung in sich nach, die sie irritierte.
Ihre Schwester war zurück. Was war da geschehen? Hatte Cornelius die Falsche erwischt
und eingesperrt? Zuzutrauen wäre es ihm gewesen. Den Wasserkrug immer noch in der
Hand, lehnte sie an der Wand und starrte auf die Tür, bis sie sich öffnete und ihre
Schwester erschien.
Jolanthe
trug staubige Reisekleider, die dringend eine Wäsche nötig hatten, ebenso wie die
Schwester selbst. Ihr Lächeln schien vorsichtig. Sieglinde wusste, dass sie es beliebig
variieren konnte, um auf diese Art ihr Gegenüber zum Reden zu bringen. Sie aber
würde nichts sagen. Sie würde abwarten.
Stille herrschte
im Raum. Als sie schier unerträglich wurde, ergriff Jolanthe das Wort.
»Du weißt
ja wohl, wo ich gewesen bin.«
Sieglinde
strich sich über den Kopf, zog den Zopf vom Nacken über die Schulter und prüfte,
ob sich Strähnen daraus gelöst hatten oder ob er noch ordentlich aussah. Wie sollte
sie reagieren? Alles leugnen? Sie empfand das als unter ihrer Würde. Außerdem brachte
es sie nicht weiter. Sie hatte kein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Schwester,
schließlich hatte die sich das Geschehene selbst zuzuschreiben. Genauso war es doch!
Verflucht sei dieser unfähige Cornelius, der es nicht einmal fertigbrachte, eine
junge Frau für eine Weile verschwinden zu lassen.
»Vater wird
es ganz sicher auch interessieren.«
»Du hast
mir Cornelius
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