Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
gute Arbeit geleistet. Das rechte Bein sieht schlimm aus.
Man wird sehen, wie er es übersteht.«
»Ich gebe
ihm das Mittel gegen die Schmerzen, wie Ihr es aufgetragen habt«, antwortete Sieglinde
und schaute Jolanthe an. »Da bist du ja.«
»Ich habe
gebetet.«
»Auch das
muss jemand tun.« Der Medikus nickte beiden zu. »Ich werde in den nächsten Tagen
meinen Jungen schicken. Ihm könnt ihr dann auch meine Rechnung begleichen. Ich empfehle
mich.«
Sieglinde
begleitete den Mann zur Tür, schloss sie hinter sich und kam zurück zur Treppe.
Von unten sah sie zu Jolanthe hoch, musterte sie, ohne ein Wort zu sagen.
»Was machen
wir nun?«, brach Jolanthe schließlich das Schweigen.
»Ruhe bewahren,
schlage ich vor«, antwortete Sieglinde und strich ihr aufgelöstes Haar mit einer
Bewegung zurück, die müde aussah.
»Wie geht
es Vater?«
»Den Umständen
entsprechend.«
»Er wird
sich erholen.«
»Das hoffe
ich.«
»Was tun
wir, wenn nicht?« Nun war sie heraus, die Frage, die sie nicht stellen wollte, weil
sie doch keine Zweifel mehr haben wollte.
»Daran,
meine liebe Schwester, sollten wir jetzt wirklich nicht denken. Komm und hilf mir,
Vater wacht sicher bald auf.«
Mit diesen
Worten stieg Sieglinde die Treppe hoch, ging an Jolanthe vorbei und verschwand im
Zimmer Winalds.
Kapitel 5
Neben dem Bett auf einem Schemel
brannte eine Lampe stetig und ruhig. Ihr Licht erhellte die eine Hälfte von Winalds
Gesicht, die zur Wand liegende Seite befand sich im Schatten. Jolanthe rieb sich
mit dem Handrücken die brennenden Augen. Mit Sieglinde hatte sie sich diese Nachtwache
geteilt. Nun saß sie am Krankenbett, nachdem die Schwester in ihre Kammer verschwunden
war. Die erste Hälfte der Nacht hatte Jolanthe im Bett verbracht. Sie hatte an die
Decke gestarrt und keine Ruhe gefunden, ihrer Empfindung nach war sie überhaupt
nicht eingeschlafen, auch wenn sie wusste, dass das täuschen konnte. Jetzt, wo sie
auf diesem Schemel saß, die reglose Gestalt ihres Vaters vor sich, überkam sie Erschöpfung.
Natürlich
bestand immer die Gefahr, dass jemandem etwas zustieß, oft hörte man von Unglücken.
Es gab genügend Unfälle, Kaufleute wurden auf den Straßen überfallen, keiner war
vor Krankheiten, die immer wieder seuchenartig um sich griffen, sicher. Doch sie
hatte gehofft, Gott würde sie für’s Erste verschonen, nachdem Mutter und Bruder
so früh von ihnen gegangen waren. Ein Fehlglaube, wie sich nun erwies. Dabei hatte
sie gebetet, jeden Tag, am Sonntag inbrünstiger und länger als alle anderen, hatte
für Mutter und Bruder immer eine Kerze entzündet. Warum?
Jolanthe
biss in die Knöchel ihrer Hand, nein, nein! So durfte sie nicht denken. Gütiger
Gott, vergib mir meine ungebührlichen Gedanken.Sie blickte auf das reglose
Gesicht ihres Vaters.
Seine Wangen
waren bleich, Furchen hatten sich in seine Stirn gegraben und ihn um Jahre altern
lassen. Obwohl er schlief, lag nichts Friedliches in seinem Gesicht. Jolanthe wischte
sich die Tränen aus den Augenwinkeln, holte tief Luft und zwang sich zu Beherrschung.
Würde Sieglinde hier sitzen und heulen wie ein kleines Kind? Nie. Was, wenn der
Vater erwachte und sie mit nassen Wangen erwischte? Seinen Respekt vor ihr würde
das nicht gerade heben. Einen Kaufmann darf nichts aus der Ruhe bringen, das war
sein Lieblingsspruch, sein Leitsatz.
Sie lauschte
auf seine regelmäßigen Atemzüge. Der Medikus hatte ein Fläschchen mit einer Arznei
dagelassen. Zum Bekämpfen der Schmerzen und damit Winald ruhig schlief, wie er sagte.
Auch wenn es nicht das wirkungsvollste Mittel sei, nur das andere sei ihm ausgegangen.
Offenbar half es dennoch.
Jolanthe
verlagerte ihr Gewicht, rutschte etwas vor, zupfte an der Bettdecke, die von Sieglinde
ohnehin akkurat gelegt worden war.
»Es wird
alles wieder gut werden«, flüsterte sie. »Dieser Medikus hat sich nur aufgespielt
mit seinem besorgten Blick. Der wollte unser Geld, stimmt’s nicht? Deshalb hat er
uns ein bisschen Angst gemacht und gesagt, es sehe ernst aus, damit wir ihn wieder
herholen.« Die ganzen Schürfwunden würden heilen. Das Bein auch, verdammt! Wie viele
Leute brachen sich tagtäglich etwas und lebten trotzdem noch viele Jahre weiter
mit zusammengeflickten Knochen? War nicht letzt erst die Runde gegangen von einem
Steinmetz, der am Münster von einem Gerüst gestürzt war aus großer Höhe? Er hatte
sich wieder erholt, mit Hilfe Gottes, wie er allen versicherte. Eine Pilgerfahrt
hatte er unternommen mit
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