Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
freundlich sein wollen, sicher, und doch klangen seine letzten Worte in ihr
nach wie eine Drohung. Sie atmete tief die von unterschiedlichen Gerüchen durchwachsene
Stadtluft ein, legte erneut den Kopf in den Nacken und sah einem Wasserspeier in
Form eines Lindwurms in den Rachen. Die Zuversicht, die sie noch beim Gespräch mit
Cornelius erfüllt hatte, war verschwunden und machte einer unterschwelligen Sorge
Platz. Auf einmal erschienen ihr die Dinge alles andere als klar und einfach. Die
Bücher zu führen mit dem Vater im Rücken, hier und da ein paar Neuerungen vorzuschlagen
und sich nur mit der Sturheit Winalds auseinandersetzen zu müssen, das war einfach
gewesen, gemessen an dem, was ihr nun bevorstand. Es gab Feinde und Konkurrenten,
das wurde ihr nun überdeutlich. Wie sollte sie sich dem stellen nur mit Cornelius
an ihrer Seite? Konnte sie gestandenen Händlern trotzen, sich gegen sie und ihre
Finesse behaupten? Winalds Missgeschick würde sich herumsprechen, bald sogar, das
fühlte sie in ihrem kleinen Zeh. Und dann würde auch Pascal wieder vor ihr stehen,
soviel war sicher.
Kapitel 6
Das Gespräch mit ihrer
Schwester ging Sieglinde nicht mehr aus dem Kopf. Wie eigenmächtig Jolanthe einfach
darüber bestimmte, dass sie im Kontor gebraucht wurde, nein, das ging nicht an.
Dagegen musste man etwas unternehmen. Nicht nur, dass sie als junge Frau dem Ganzen
nicht gewachsen war, Sieglinde missfiel ihr Widerspruchsgeist. Wie stellte sie sich
das alles denn vor? Der Vater krank im Bett und sie unterwegs im Handelshaus unter
gestandenen Kaufleuten, die die Welt bereist hatten und mit allen Wassern gewaschen
waren? Es mochte ja angehen, dass Jolanthe gut mit Zahlen umging. Sieglinde konnte
und mochte das nicht beurteilen, doch der Vater war augenscheinlich zufrieden mit
ihrer Arbeit. Aber weitreichende Entscheidungen zu treffen, Ware einzukaufen und
gewinnbringend zu verkaufen, nein … Es wurde Zeit, den Willen der
Schwester zu zähmen, sonst, das spürte Sieglinde genau, würde sie alle ins Unglück
stürzen.
Sie betrat
Winalds Gemach und füllte Wasser aus einem Eimer, den sie hochgetragen hatte, in
eine Waschschüssel, die neben dem Bett stand. Winald grüßte sie mit einem Brummen.
Er sah schlecht aus, und das gefiel ihr gar nicht. Sie gab sich alle Mühe, ihn zu
umsorgen, doch scheinbar ohne Wirkung. Das aber bestärkte sie nur in ihrem Entschluss,
der sich über Nacht in ihrem Kopf gefestigt hatte, Formen annahm und ihr immer besser
gefiel.
Genügend
fesche Mannsbilder hatten bereits um ihre Hand angehalten. Erst letzt hatte Vico
Interesse an ihr gezeigt, der ein bescheidenes Kontor seines Vaters weiterführte
und ebenfalls Tuchhandel betrieb.
Pascal,
warum nicht dieser Pascal, dachte sie und verzog unwillkürlich den Mund, als sie
an die Szene dachte, wie der Kaufmann aus ihrer Stube gestürmt war. Seither hatte
sie ihn einmal auf dem Markt getroffen und recht lange mit ihm geplaudert. Aber
er und Winald waren im Streit auseinander gegangen. Es würde schwer genug sein,
den Vater zu überzeugen, dass sie heiraten musste. Einen Kandidaten zu präsentieren,
der ihm missfiel, würde diese Mission zum Scheitern verurteilen. Dennoch, sie musste
behutsam vorgehen. Zu oft hatte der Vater bereits Heiratswillige abgewiesen, keiner
schien ihm recht. Bislang hatte Sieglinde sich nicht daran gestört, nun aber standen
die Dinge anders.
»Schau nicht
so griesgrämig. Ich lebe noch, wie du siehst«, murrte Winald und riss sie damit
aus ihren Gedanken. Fahrig griff sie zu einem Becher mit Kräutersud.
»Trinkt,
Vater.« Sie hielt ihn an Winalds Lippen und wehrte seine Hand ab, mit der er das
Gefäß fortschieben wollte.
»Lass mich.«
»Ihr müsst,
es ist gegen das Fieber.«
»Welches
Fieber? Mach mich nicht kranker, als ich bin.« Trotz seiner Worte gab er seinen
Widerstand auf. Er ließ den Arm auf das Laken fallen, öffnete den Mund, um widerwillig
ein paar Schlucke zu nehmen. Wie schwach er geworden ist, dachte Sieglinde. Und
das innerhalb weniger Tage.
»Das Zeug
brennt mir im Hals«, murrte Winald. »Und überhaupt, ist das doch alles Pfuscherei.
Ich werde schon ohne diesen Kram wieder auf die Beine kommen.« Wie um seine Worte
zu unterstreichen, richtete er seinen Oberkörper auf. »Verdammt!« Er verzog das
Gesicht und sah Sieglinde vorwurfsvoll an.
»Das Bein,
ich weiß. Legt Euch hin, das ist das Beste. Solange es nicht verheilt ist, solltet
Ihr ruhen.« Seine Hilflosigkeit war ihm unangenehm,
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