Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Gesicht, und er ließ sie eintreten. Sie wartete nicht
auf ihn, sie kannte den Weg. Jolanthe öffnete die Tür zum Wohnbau. Der Geruch nach
Kohl schlug ihr aus der Küche entgegen, wo Liese, die Köchin, ihr Unwesen trieb,
die mindestens ebenso zum Burginventar gehörte wie Ludwig, so lange war sie schon
da.
Steinstufen
führten Jolanthe in einen Raum, aus dem ihr behagliche Wärme entgegenschlug. Ein
Feuer prasselte im Kamin, es roch angenehm nach verbrannten Kiefernnadeln. Martha
saß in ihrem Lehnstuhl, den Kopf zur Seite gerollt, den Mund offen, und schnarchte.
Jolanthe hielt inne, betrachtete das ehemals dunkle Haar der Freundin, das nun mehr
Grau als Schwarz aufwies und das Martha mit einem Band im Nacken zusammengebunden
hatte. Ihre Füße steckten in Holzpantinen, deren Spitzen abgeschabt waren. Der Umhang,
in den sie sich gehüllt hatte, wies an einigen Stellen Flicken auf und ihr Rocksaum
ein paar ausgefranste Stellen. Manchmal wusste Jolanthe nicht, ob es tatsächlich
der Mangel an Geld oder einfach Marthas Nachlässigkeit war, was sie und ihrem Heim
diesen leicht heruntergekommenen Anschein gab. Im Grunde war Marthas Heilkunst sehr
gefragt, nicht nur die Ärmeren ließen sie zu sich kommen, auch mancher Bürgerliche,
der dem Medikus nicht traute. Ihr Ruf war gut. Aber so eine Burg war nicht günstig
im Unterhalt, wie sie immer wieder betonte. Darauf angesprochen, warum sie nicht
in die Stadt zog, zuckte sie nur mit den Schultern. »Wozu? Mir gefällt’s.«
»Martha,
wach auf!« Jolanthe fasste sie an der Schulter und spürte, wie ein Ruck durch den
Körper ging. Martha blinzelte.
»Seltener
Besuch.«
Jolanthe
spürte die Hitze in ihren Wangen. »Ich wollte längst mal kommen. Aber das Kontor
und die ganzen Pflichten …«
»… und der
weite Weg«, ergänzte Martha mit ernstem Gesichtsausdruck.
»Du könntest
mich auch mal besuchen.«
»Die Gesellschaft,
in der ich dich vorfinde, wäre mir unangenehm.« Nun stahl sich ein Lächeln auf Marthas
Mund. Sie erhob sich. »Lass dich umarmen.«
Jolanthe
ließ sich willig in die Arme nehmen, spürte die Wärme der Freundin und fühlte sich
mit einem Mal ruhiger. Leichter Duft nach den Kräutern, mit denen Martha immer hantierte,
stieg ihr in die Nase, hatte sich in den Kleidern festgesetzt.
»Ich brauche
deine Hilfe.« Jolanthe machte sich los und setzte sich auf ein Bärenfell, das vor
dem Kamin lag und von einem der vielen Ahnen Marthas als Trophäe dort deponiert
worden war. »Mein Vater hatte einen Unfall.«
»Ich will
nicht sagen, das geschieht ihm recht, dem alten Sturkopf, das wäre unchristlich.
Außerdem weiß ich, dass du an ihm hängst. Warum auch immer. Ludwig!«
Es dauerte
eine Weile, bis der Diener sich sehen ließ. In der Zeit schwiegen sie und starrten
ins Feuer. »Bring uns eine warme Milch mit Honig, das Mädchen ist durchgefroren.
Und nun erzähl schon«, meinte sie wieder zu Jolanthe gewandt. »Was hat er?«
»Ein verletztes
Bein. Ist vor einen Karren gelaufen. Der Medikus hat es geschient, aber es will
ihm einfach nicht besser gehen.«
»Ist es
ein offener Bruch, sieht man den Knochen?«
Jolanthe
nickte und sah, wie Martha die Stirn krauszog. »Kommst du mit mir und schaust ihn
dir an?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Will er
mich denn sehen?«
»Ich habe
ihm nicht gesagt, dass ich zu dir gehe.«
»Das dachte
ich mir.«
Wieder schwiegen
sie. Jolanthe beobachtete, wie im Kamin ein Holzscheit auseinanderfiel und der Rauch
sich knisternd mit Funken füllte. Ihr fiel es nicht leicht, so geduldig auf Antwort
zu warten, und doch hatte sie das Gefühl, sich hier außerhalb der Zeit zu bewegen.
Es gab keine Dringlichkeit mehr, nur das heiße Getränk, das Ludwig ihr schließlich
in die Hände drückte, und das knisternde Feuer. Sie fühlte sich geborgen.
»Ich tu’s
dir zuliebe. Ich könnte es dir gar nicht abschlagen.«
Martha brauchte
eine Weile, bis sie in ihrer Kräuterkammer das Richtige zusammengesucht hatte. Dann
erklärte sie Ludwig, wohin sie ging und wann sie wiederkäme und zog Jolanthe mit
sich über den Hof. Gemeinsam schritten sie den Waldweg entlang, Martha erzählte
ihr von neu entdeckten Kräutern und wollte wissen, wie das Kontor sich ohne Winald
führen ließ. Jolanthe antwortete auf ihre Fragen und horchte sie ein wenig aus über
das, was sie vom Gewürzhandel wusste, konnte sich letztlich aber nicht richtig auf
das Thema konzentrieren. Als sie schließlich in Ulm ankamen, zwinkerte die Freundin
ihr zu und
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