Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Sieglinde spürte das und versuchte
es nach Kräften zu überspielen. »Trinkt das aus, dann geht es Euch besser.«
»Lüg mich
nicht an, Tochter. Mein Bein brennt, als stünde ich damit bereits im Fegefeuer.«
Er stöhnte, so als hätten ihn die Bewegungen angestrengt.
»Der Medikus
hat es geschient, und nun muss es zusammenwachsen, sonst nichts«, beharrte Sieglinde.
»Gott wird Euch bald wieder wohlgesonnen sein. Wir beten jeden Tag dafür.«
Winald schnaubte.
»Wenn mir nur nicht so der Kopf dröhnen würde, dann wüsste ich wenigstens, wem ich
das zu verdanken habe. Ein Fuhrmann soll mich angefahren haben, und ich weiß von
nichts.«
»Ihr seid
gegen den Wagen gelaufen.«
»Ich würde
ihn vor den Rat zerren, so jemand gehört bestraft, wenn er durch die Gassen rast
und unschuldige Bürger über den Haufen fährt.«
Sieglinde
erwiderte nichts. Stattdessen bückte sie sich nach der Schüssel mit Wasser, tunkte
einen Lappen hinein und wrang ihn aus. Dann wischte sie den Schweiß von Winalds
Stirn.
»Das tut
gut.« Winald hielt den Lappen fest. Wasser rann ihm die Wangen hinunter und benetzte
das Kissen, auf dem sein Kopf lag.
Sieglinde
erhob sich und wandte sich ab. Er hatte Fieber bekommen in der letzten Nacht, und
sie haderte mit der Entscheidung, ob sie den Medikus holen sollte oder man es erst
einmal durch Hausmittelchen bekämpfen konnte. Wenn Jolanthe ihr nur zur Hand gehen
würde!
Sie nahm
den Eimer und verließ das Zimmer. Statt Katrein zum Brunnen zu schicken, trat sie
den Weg selbst an, um ein bisschen die stickige Luft des Krankenzimmers aus ihren
Kleidern zu vertreiben. Die Sonne schien ihr in den Nacken, als sie aus dem Haus
trat. Sie ließ sich Zeit für den Weg, schlenderte an den Nachbarhäusern vorbei und
grüßte eine Frau, die den Kopf aus einem Fenster im ersten Stock steckte, und ließ
sich von ihr in ein kurzes Gespräch über das Wetter verwickeln.
Beim Brunnen
angekommen, sah sie, dass ein Kind davor kauerte. Dreckige Lumpen hingen von seinem
Körper, und die Augen, die sie aus dem verkrusteten Gesicht ansahen, waren groß
vor Hunger. Angewidert trat sie die dürre Hand weg, die sich ihr entgegenstreckte.
»Was hockst
du hier und belästigst anständige Leute? Weißt du nicht, dass um Almosen betteln
verboten ist?«
Der Kleine
kam rascher auf die Füße, als sie vermutet hätte. Vorsichtig trat sie zwei Schritte
zurück, man wusste ja nie, ob diese Halunken einem nicht noch die Börse stahlen
oder eine Krankheit anhängten.
»Scher dich
fort! Geh zur städtischen Armenspeisung, da bekommst du, was dir zusteht.« Erleichtert
stellte sie fest, dass sich der Junge von ihrem barschen Ton beeindrucken ließ und
um die nächste Hausecke verschwand. Sieglinde ließ den Eimer nach unten und zog
ihn mit aller Kraft wieder hoch, um das Wasser umzufüllen. Sie benetzte sich das
Gesicht, dann lehnte sie sich an den Brunnenrand, blinzelte in die Sonne und war
mit ihren Gedanken wieder bei ihren eigenen Sorgen. Wer wusste schon, was die Zukunft
bringen würde? Sieglinde hatte nicht vor, alles allein der göttlichen Fügung zu
überlassen.
Als sie
zurück zu Winald ins Zimmer kam, lag der noch genauso da, wie sie ihn verlassen
hatte, und starrte an die Decke.
»Vater«,
begann sie. »Wir müssen reden.«
»Das tun
wir die ganze Zeit, will mir scheinen.«
»Jolanthe
ist mit dem Kontor überfordert. Sie schlägt sich tapfer, Ihr kennt sie ja, aber
sie ist eine Frau.«
»Ich werde
nicht mehr lange hier liegen. Bis ich gesund bin, wird Cornelius die Angelegenheiten
regeln, Jolanthe braucht sich keine Sorgen zu machen. Du auch nicht.« Er tätschelte
ihre Hand.
»Natürlich.
Dennoch solltet Ihr überlegen, ob es nicht besser wäre, ich würde einen Kaufmann
heiraten. Das könnte Euch so oder so entlasten, und Jolanthe hätte mehr Zeit, um
häusliche Tätigkeiten zu erlernen.«
Winald antwortete
nicht. Er starrte auf seine Hände, die er auf der Decke gefaltet hatte, und zeigte
keine Anzeichen, ob er das Gesagte gehört hatte.
»Vater?«
Er reagierte
immer noch nicht, und Sieglinde zögerte, bevor sie beschloss, es vorerst gut sein
zu lassen und das Thema ein anderes Mal erneut anzusprechen. Wenn er nicht reden
will, nutzt kein Zwang, im Gegenteil. Damit bringe ich ihn nur gegen mich auf,dachte sie. Pascal schien ihr auf einmal ferner denn je. Doch sie würde nicht
so schnell aufgeben. Und wenn ich den eitlen Geck Vico nehmen muss, der mir beim
Tanzen immer auf die Füße tritt, er ist ein
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