Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Sie hatte etwas Tiefergehendes,
was ihn berührte.
Er dachte
an die Gespräche, die er mit beiden Schwestern geführt hatte. Jolanthes zugeknöpfte
Art konnte er mit Worten nicht lockern, also hatte er sich darauf verlegt, sie zu
beobachten. Ihr Verhalten verriet ihm mehr als das, was sie sprach. Lächelnd sah
er einem Drachen in die steinernen Augen, dann setzte er seinen Weg zum Haus des
Medikus fort.
Sieglinde
hatte sich als gesprächiger erwiesen, immerhin wusste er nun sicher, wer in Winalds
Haushalt und Kontor für was zuständig war. Hilfreich schien ihm dieses Wissen bislang
nicht, blieb doch die Idee aus, wie er es nutzen konnte.
Abwarten,
dachte er und konnte sich doch nicht so richtig damit trösten. Er konzentrierte
sich auf das bevorstehende Geschäft, erreichte das Haus des Medikus und machte sich
den Bewohnern bemerkbar. Dann trat er einen Schritt zurück und schaute auch hier
die Fassade hoch. Ein prächtiges Gebäude zeugte vom nicht eben kleinen Geldsäckel
des Arztes. Erker, deren Fenster mit Stein umrandet waren, eingearbeitete Blüten
und Ranken als Verzierung. Die Butzenscheiben bestanden aus buntem Glas, das im
Inneren ein fröhliches Muster auf dem Boden erzeugen musste, sobald die Sonne hereinschien.
»Ja bitte?«
Eine Frau in hellem Kleid, die Haare streng unter einer Haube verborgen, musterte
ihn so, als stünde sie bereits Augenblicke dort in der Tür, um ihn zu beobachten.
Pascal machte
eine elegante Verbeugung und lächelte sie an. »Der Kaufmann bin ich, Pascal Pallet,
werte Frau. Ich bringe dem Herrn Medikus die bestellten Zutaten.« Er beschloss,
seinen Charme spielen zu lassen und fuhr fort: »Doch ein Anliegen an Euch zuvor.
Ihr seid eine kluge Frau, das sehe ich sofort. Achtet darauf, der Herr Medikus sollte
sich nächstes Mal gleich an uns seriöse Kaufleute halten. Nicht, dass er wieder
einem dahergelaufenen Händler vertraut, dessen einziges Betreiben es ist, seine
Kundschaft übers Ohr zu hauen. Ihr habt gewiss Einfluss auf ihn.«
Ȇbers Ohr
hauen sie einen alle.« Die Frau drehte sich um und bedeutete ihm zu folgen. »Und
Einfluss habe ich gewiss nicht, ich bin nur das Eheweib.«
Pascal wollte
nicht so schnell aufgeben. Die Sympathie dieser Frau zu gewinnen war für ihn mindestens
ebenso wertvoll wie das Vertrauen ihres Mannes. »Oh, erzählt mir nichts, gute Frau.
Ich habe zwar kein Weib, aber eine Mutter und weiß sehr wohl, welchen Einfluss sie
hat. Welcher Hausherr überblickt schon die Geheimnisse der Haushaltsführung?«
Sie drehte
sich nicht um, und er folgte ihrem Rücken. Als sie ihn aber in die Stube geleitete
und ihn vorbeitreten ließ, sah er den Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht. Er
verabschiedete sich mit einem Nicken von ihr. Na also.
Der Hausherr
saß an einem Tisch über einen Stapel Papiere gebeugt. Er sah hoch. Die Falten auf
seiner Stirn glätteten sich. Er strich über seinen weißen Bart, sodass sich die
Mundwinkel verzogen, dann nickte er.
»Setzt Euch.
Ich war misstrauisch, ich gebe es zu. Aber unsereins braucht Euch Händler ja nun
einmal. Wie es aussieht, habt Ihr das Gewünschte besorgen können?«
Pascal ließ
sich nicht lange bitten und breitete Säckchen und kleine Holzkästchen auf dem Tisch
aus, öffnete jedes einzelne und sagte: »Digitalis-Pulver … Hier das Mercurius …
und Mohnsaft, frisch eingetroffen aus dem Mittelmeerraum und, mit Verlaub, edler
Herr, ich bin Kaufmann, kein einfacher Händler.«
»Wie gut,
wie gut«, der Medikus rieb sich die Hände und zupfte wieder an seinem Bart. Pascal
spürte seine Freude über die Schätze, die da vor ihm lagen. Er hatte vor, diese
freundliche Stimmung auszunutzen.
»Ihr seht,
was Ihr von einem ehrlichen Mann zu erwarten habt.«
»Ich lerne
aus meinen Fehlern.« Der Arzt nahm einen Flakon mit Mohnsaft in die Hände und drehte
ihn im Licht. »Sehr gut«, murmelte er. »Dieses Schmerzmittel hätte ich gut gebrauchen
können vor ein paar Tagen. Dieser Gewürzpanscher hat’s mir unterschlagen und ist
schuld am Leid von Winald Kun.«
»Was ist
geschehen?«, fragte Pascal mit höflichem Unterton, um seine Neugier zu verstecken.
»Ist unter
ein Fuhrwerk geraten.«
»Winald
Kun?« Seine Stimme geriet einen Ton zu laut. Er bückte sich nach seinem Beutel,
so als habe er etwas suchen wollen, und war sich bewusst, dass er damit seine Reaktion
nur ungenügend kaschierte.
»Es sah
nicht gut aus für sein Bein. Für ihn selbst auch nicht. Der Schmerz, wisst Ihr?
Aber da er seit Tagen
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