Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
nahm. Vor dem Gebäude, in dem sich der Tanzsaal befand, trafen sie auf weitere
Ankömmlinge, und Sieglinde schloss sich einer Gruppe junger Frauen an, die sie kannte.
Der Knecht würde wie die anderen unter den steinernen Bögen im Erdgeschoss warten.
Sie spürte
die Anspannung, als sie den festlich geschmückten Raum betrat. Die Musik hatte noch
nicht eingesetzt, stattdessen schien das Stimmengewirr von der hohen Decke abzuprallen
und verstärkt wieder zurückzukommen. Sieglinde richtete ihr Kleid, streckte den
Busen vor und sah sich um. Die Fenster des Saales wurden verdeckt von dunkelroten
Vorhängen, die das Licht von draußen aussperrten. Unzählige Kerzen in den Leuchtern,
die von der Decke hingen, tauchten den Raum in ein warmes Licht. Vereinzelt erklangen
Töne eines Instruments, das gestimmt wurde. Ein helles Frauenlachen übertönte das
Gemurmel. Sieglinde erkannte Berta, die es offensichtlich immer noch nicht gelernt
hatte, ihre Unbekümmertheit in den Griff zu bekommen. Sie hielt auf ihre Freundin
zu, die sich mit drei Männern unterhielt und den Kopf zurückwarf, um erneut in viel
zu lautes Lachen auszubrechen.
»Was ist
so lustig?«, fragte sie mit hochgezogener Braue. Berta schien den Tadel darin nicht
zu bemerken. Stürmisch umarmte sie Sieglinde.
»Ist das
nicht herrlich? Diese beiden kommen aus Italien. Sie sind im Hause unseres Freundes
Hartung zu Gast.« Sie nickte in Richtung des dritten Mannes. Sieglinde hatte nur
einen flüchtigen Blick für sie übrig. Die Jünglinge schienen ihr noch recht grün
hinter den Ohren, und sie fragte sich, was ihre Freundin an ihnen so lustig fand.
Wieder hörte
sie ein paar Töne, dann setzte unvermittelt Musik ein, und das Schwatzen der Gäste
wurde leiser. In der Mitte des Saales formierten sich Männer und Frauen zu einem
Tanz. Sieglinde sah zu ihnen hin, das Geplapper ihrer Freundin im Ohr, als sie unvermittelt
am Arm gegriffen und zu den Tanzenden gezogen wurde. Ihr blieb kurz die Luft weg,
dann erkannte sie ihren Begleiter.
»Darf ich
Euch zu einem Tanz auffordern, holde Jungfer?«
»Vico!«
Nicht Pascal. »Musst du mich so erschrecken?«
Er lachte,
entblößte dabei ein tadelloses Gebiss, das in seinem gebräunten Gesicht zu leuchten
schien, genauso wie seine dunklen Augen. Der italienische Einschlag seiner Mutter
war unverkennbar. Sieglinde schluckte die Enttäuschung herunter und knickste leicht,
um ihm ihre Gunst zu zeigen. Dann begann der Tanz. Sie musste sich ganz auf die
Schrittfolge konzentrieren. Vico ihr gegenüber nahm die Sache mit seinem südländischen
Temperament unbekümmerter, was zur Folge hatte, dass er immer wieder Fehler machte,
sich falsch herumdrehte oder seinen Nachbarn anrempelte. Seinen etwas zu dünn geratenen
Körper hatte er in prächtigen Stoff gehüllt, was Sieglinde gefiel. Nein, an seinem
Geschmack konnte sie nichts aussetzen. Dennoch ertappte sie sich dabei, sich immer
wieder umzusehen. Pascal konnte sie nicht entdecken.
»Ihr seid
heute ein bisschen unaufmerksam«, sagte Vico nach dem Tanz, nahm sie am Arm und
führte sie zu einem Tisch, auf dem sich Pasteten, Braten und Kuchen befanden. Er
winkte einem Diener, ihnen Wein zu bringen.
»Ich habe
nicht gut geschlafen.«
»Vor Aufregung?«,
er zwinkerte ihr zu, und sie schluckte eine ärgerliche Antwort herunter. Sei nett
zu ihm, dachte sie, auch wenn er dich wie ein junges Hühnchen behandelt.
»Ein solches
Ereignis wie der Tanz heute Abend, das hat man nicht alle Tage, meint Ihr nicht
auch?«, antwortete sie stattdessen und drehte sich kokett.
Als er dicht
neben sie auf die Bank rutschte, zwang sie sich, nicht auf Abstand zu gehen. Sie
hatte keinen Hunger, aß nur aus Höflichkeit ein paar Bissen, hielt sich stattdessen
an den Wein, der ihren Kopf benebelte. Sie fühlte die Anspannung schmelzen, nahm
noch einen Schluck, lachte über Vicos Scherze, die sie sonst nur wenig lustig gefunden
hätte, und brachte ein paar Bemerkungen in die Unterhaltung ein, die hauptsächlich
er bestritt.
»Wie geht
es dem Herrn Vater?«, fragte er schließlich und räusperte sich. Sieglinde spürte,
wie er unruhig die Beine bewegte, so dicht saß er neben ihr. Vertrauensvoll beugte
er sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Ihr wisst, ich würde ihn gern beeindrucken.
Meint Ihr, es sei an der Zeit? Letztes Mal habt Ihr mir abgeraten, aber wie Ihr
seht, ich lasse nicht locker.«
Sieglinde
nahm einen Schluck Wein, dann setzte sie noch einmal an und trank den Becher leer,
weil ihr Hals sich
Weitere Kostenlose Bücher