Die Todesbotschaft
zwischen den Menschen gemacht.« Elly entzog mir ihre Hand, um sich den Rücken zu stützen. »Dieses lange Sitzen ist nichts für mich. Begleitest du mich zum Auto?« Ohne meine Antwort abzuwarten, erhob sie sich.
Auf dem Weg den Hügel hinunter kommentierte sie die Bepflanzungen der Gräber, an denen wir vorbeikamen. Dankbar für diese Ablenkung folgte ich ihren Ausführungen, bis wir von Johannes Schormann, Partner der Detektei und Vater von Amelies bester Freundin Kerstin, überholt wurden.
»Hallo, Johannes«, begrüßte ich den vierschrötigen Mann mit der weißen Haarmähne. Wie sportlich er einmal gewesen war, sah man ihm schon lange nicht mehr an.
Der Siebzigjährige schien mich jedoch nicht gehört zu haben, er lief grußlos weiter. Erst Tobias Rech, dem vierten der Partner, der ihn mit schnellen Schritten einholte, gelang es, Johannes’ Aufmerksamkeit zu erlangen. Dazu berührte er nur leicht dessen Arm. Selbst von hinten hätten die beiden unterschiedlicher nicht aussehen können. Neben Johannes wirkte Tobias noch asketischer und hagerer, als er es ohnehin schon war. Früher hatte ich mich ein wenig vor ihm gefürchtet, da er in einer eigenen Welt zu leben schien, die kaum von jemandem betreten werden durfte – schon gar nicht von einem Kind.
Erst als Erwachsene hatte ich über die Malerei einen Zugang zu ihm gefunden. Vor ein paar Jahren hatte er sich eine Wand seines Schlafzimmers von mir bemalen lassen. Bedingung war gewesen, dass er das Sujet vorgeben durfte. Zunächst wollte ich nicht darauf eingehen, hatte mich dann jedoch von ihm überreden lassen, da er quasi zur Familie gehörte. Die Vorlage, die er mir gegeben hatte, zeigte eine zarte blonde Frau, deren weiße Schwesterntracht ihre Zerbrechlichkeit unterstrich. Sie war jung, vielleicht Mitte zwanzig, saß rauchend an einem Tisch und blätterte in einem Magazin. Als ich ihn fragte, wer die Frau sei, hatte er geantwortet, das Foto sei ihm durch Zufall in die Hände gefallen. Und er wolle sie tatsächlich auf seine Schlafzimmerwand bannen?, hatte ich nachgehakt. Das seien die harmlosen erotischen Phantasien eines ewigen Junggesellen, meinte er lakonisch. Als ich das Bild fertiggestellt und ihm die gestochene Schärfe des Fotos verliehen hatte, war ich großzügig dafür entlohnt worden.
Am Parkplatz angekommen, verabschiedete ich mich von Elly und hielt nach meinen Eltern Ausschau. Ich sah sie mit Carl, Amelie und Adrian in langsamem Tempo den Hügel herunterkommen. Als hinter mir Männerstimmen laut wurden, wandte ich mich um. Zwischen Johannes und Tobias war offensichtlich ein Streit entbrannt, dem sich Letzterer dadurch entzog, dass er in sein Auto stieg und die Türen verriegelte. Als Johannes die Fahrertür aufzureißen versuchte und es ihm nicht gelang, schlug er mit der flachen Hand auf das Autodach und schrie: »Du hast gut reden, du hast ja nichts zu verlieren.«
Mit versteinerter Miene ließ Tobias den Motor an und fuhr los, ohne seinen Partner noch eines Blickes zu würdigen. Sekundenlang sah Johannes ihm hinterher, bis er schließlich zu seinem Auto ging, sich hineinsetzte und gleich darauf wieder ausstieg. Ich beobachtete, wie er unter dem Scheibenwischer einen Umschlag hervorholte, ihn aufriss und eine Briefkarte herauszog. Während er sie las, schwankte er plötzlich, seine Knie schienen ihm den Dienst zu verweigern. Einen Moment lang sah es so aus, als würde er in sich zusammensacken. Während ich auf ihn zurannte, lehnte er sich gegen das Auto, löste mit einer Hand den Knoten seiner Krawatte und öffnete den obersten Hemdknopf.
»Johannes, kann ich dir helfen?«
Er sah durch mich hindurch, schüttelte den Kopf und schob die Karte in die Tasche seines Sakkos. »Nein, es ist nichts.«
»Soll ich Kerstin suchen?«, fragte ich. Am Grab hatte ich seine Tochter noch gesehen, sie konnte also nicht weit sein.
Wieder schüttelte er den Kopf, diesmal ärgerlich. »Mach nicht aus einer Mücke einen Elefanten«, herrschte er mich an. »Ich bin nur mit dem Fuß umgeknickt, nichts weiter.«
War er nicht, dachte ich und wollte ihm den Rücken kehren, als Kerstin angelaufen kam.
»Was ist denn los?«, fragte sie ihn. »Geht es dir nicht gut? Du bist ja weiß wie die Wand. Ist es wegen der Hitze? Oder bist du wieder unterzuckert?« Kerstin, einen Meter achtzig groß und vollschlank, war die Personifizierung eines Vollweibs. Selbst in ihrem schwarzen Anzug sah sie aus wie das blühende Leben – glänzende braune Haare, die sie an
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