Die Todesbotschaft
ausgetauscht. Das Stimmengewirr war wie ein letztes Aufbäumen, bevor wieder Stille einkehren würde. Und Einsamkeit. Wenn ich an Carl dachte, wurde mir das Herz schwer. Ich wollte ihn noch einmal allein sprechen, um ihm zu sagen, wie viel besonders Cornelia mir bedeutet hatte. Da ich ihn auf der Terrasse nicht entdecken konnte, durchquerte ich das Wohnzimmer und lief durch die Halle in den Seitenflur, der zu seinem Arbeitszimmer führte. Ich hatte gerade die Hand erhoben, um anzuklopfen, als ich stockte. Drinnen redete jemand. Wenn ich mich nicht täuschte, war es Johannes’ Stimme. Eigentlich hätte ich auf dem Absatz kehrtmachen und später wiederkommen sollen. Stattdessen trat ich noch näher an die Tür heran.
Von klein auf war Amelie und mir eingeimpft worden, niemals, unter gar keinen Umständen an fremden Türen zu lauschen. Das strikte Verbot hatte jedoch erst recht unser Interesse geweckt. Allerdings hatten wir schnell festgestellt, dass es weitaus spannendere Spiele gab. Ich hätte nicht zu sagen gewusst, wann ich zuletzt mein Ohr an eine Tür gelegt hatte. Die Gelegenheit, die sich in diesem Moment bot, würde mir hingegen noch lange in Erinnerung bleiben.
»Wir hätten den ersten Brief nicht als üblen Scherz abtun dürfen«, sagte Johannes. »Ein solcher Fehler darf sich keinesfalls wiederholen.«
Das Geräusch, das folgte, wurde vermutlich von einer Faust verursacht, die mit Wucht auf einem Tisch landete und Gegenstände zum Klirren brachte. »Fehler nennst du das?«, brüllte Carl, der inzwischen wieder nüchtern zu sein schien. »Meine Frau und mein Sohn sind tot. Wer immer hinter diesen Briefen steckt, hat die beiden umgebracht.«
»Willst du, dass dich da draußen alle hören?«, herrschte Tobias ihn an, um gleich darauf zu fragen, ob Carl der Polizei etwas von den Briefen gesagt habe. Carls Nein fiel deutlich leiser aus. Ich musste mich anstrengen, um ihn zu verstehen. Er sagte, er habe diese Information noch zurückgehalten, da er sich erst mit seinen Partnern habe beraten wollen. Als sei dies das Stichwort gewesen, teilten sich die Männer in zwei Lager. Auf der einen Seite Tobias und mein Vater, auf der anderen Carl und Johannes.
»Es sind reine Vermutungen, die ihr hier anstellt«, sagte mein Vater. »Es gibt keinen einzigen Beweis für ein Verbrechen. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass es sich um ein zufälliges Zusammentreffen handelt.«
»Das sehe ich genauso«, meinte Tobias. »Würde es diese Briefe nicht geben, würdet auch ihr in dem Unfall das sehen, was er war: ein tragisches Unglück. Nichtsdestotrotz muss Schluss sein mit den Briefen. Ich werde mal einen meiner Leute darauf ansetzen. Vielleicht …«
»Das … ist … kein … Zufall«, unterbrach ihn Carl mit gedrosselter Lautstärke. »Irgendjemand muss …«
»Was machst du da, Finja?«
Ich schrak zusammen, drehte mich zu Kerstin um und legte meinen Finger an die Lippen. »Pst! Nicht so laut!« Als mein Blick auf ihre nackten Füße fiel, war mir klar, warum ich sie nicht hatte kommen hören.
»Ich habe dich überall gesucht …« Sie sah von mir zur Tür. »Was …?«
»Das erkläre ich dir später.« Ich schob sie ein Stück zurück. »Gib mir fünf Minuten, dann treffen wir uns auf der Terrasse, ja?«
Sie wirkte skeptisch, ließ sich aber schließlich überreden und verschwand Richtung Halle. Augenblicklich legte ich wieder das Ohr an die Tür. Bei dem Durcheinander der Stimmen ließ sich nichts Konkretes heraushören, bis Johannes sich durchsetzte und die anderen drei verstummen ließ.
»Tobias«, sagte er, »gibt es irgendetwas, das wir wissen sollten? Hast du möglicherweise gerade etwas Brisantes am Laufen?«
»Nichts, was über das übliche Tagesgeschäft hinausginge«, antwortete Tobias.
»Einmal angenommen, bei den Briefen handelt es sich entgegen eurer Meinung nicht um einen makabren Scherz, sondern tatsächlich um eine Drohung – wer würde sie in die Tat umsetzen? Fällt euch da irgendjemand ein?«
Sekundenlang war nichts zu hören. Ich stellte mir vor, dass sie sich ratlos ansahen, und fragte mich gleich darauf, von welcher Art Drohung Johannes überhaupt sprach. Von der Drohung, Hubert und Cornelia umzubringen? Trotz der Hitze, die durch die weit geöffneten Türen auch vom Inneren des Hauses Besitz ergriffen hatte, bekam ich eine Gänsehaut.
»Und was war das mit dem Brand?«, fragte Johannes weiter.
Als ich schnelle Schritte auf dem Parkett hörte, trat ich einen Schritt von der Tür
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