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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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Erwartung, die sie nicht erfüllen konnte. Wie Schuhe, die jemand für sie hinstellte, die ihr jedoch viel zu groß waren. Es hatte sie erschreckt, als sie begriff, dass sie schwanger war. Aber nur in den ersten Tagen, dann hatte sie sich gefreut. Ein Kind von ihm – das war das Zeichen, auf das sie so sehr gehofft hatte. Das Zeichen, dass sich doch noch alles zum Guten wenden würde. »Ich hatte darauf gehofft«, beantwortete sie Doktor Radolfs Frage mit einiger Verzögerung.
    Er fuhr mit den Fingern über den Rand des Blattes. Er tat es vorsichtig, so als wisse er, wie viel ihr das Bild bedeutete. »Wie würden Sie Ihre Schwangerschaft beschreiben?«
    »Lang.« Zum ersten Mal, seitdem sie hier war, lächelte sie spontan.
    Er begegnete ihrem Lächeln mit einem Schmunzeln. »Wenn Sie an diese Zeit zurückdenken, Gesa, gab es da vielleicht Probleme? Etwas, das Sie über Gebühr belastet hat?«
    »Am Anfang war mir häufig übel. Aber nach ein paar Wochen war das vorbei.« Sie zuckte die Achseln, als sie seinen abwartenden Blick registrierte.
    »Wie ich erfahren habe, sind Ihre Eltern vor vier Jahren bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen«, fuhr er leise fort. »Das muss ein sehr schmerzhafter Einschnitt in Ihrem Leben gewesen sein.«
    Vergeblich versuchte Gesa, die Erinnerungen, die auf sie einstürmten, zurückzudrängen. Man hatte ihr gesagt, ihre Eltern hätten nicht gelitten, die Kälte unter dem Schnee hätte sie müde werden und einschlafen lassen. Sie hätten nichts gespürt.
    »Was geht Ihnen gerade durch den Kopf?«
    Sie schlang die Arme um den Oberkörper und versuchte, seinem forschenden Blick auszuweichen.
    »Wenn eine Last zu schwer wird, Gesa, kann es helfen, sie auf mehrere Schultern zu verteilen«, sagte er in die Stille hinein.
    »Unser Hausarzt hat mir erklärt, sie hätten nichts davon gemerkt. Aber dann … auf der Beerdigung … da hörte ich jemanden sagen, Ersticken sei das Schlimmste.« Das Schluchzen kam aus einer Tiefe, in die sie sich lange nicht vorgewagt hatte. »Es sei ein fürchterlicher Tod. Ein Tod, den man niemandem wünsche.« Gesa wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Ich habe mich nicht getraut, jemanden danach zu fragen.«
    Mit einer für seine Verhältnisse fast ruckartigen Bewegung beugte er sich vor. In seiner Miene spielte sich etwas ab, das sie nicht zu deuten wusste. Es hatte sich nur kurz gezeigt, um gleich wieder zu verschwinden. »Sie werden sehr schnell eingeschlafen und dann bewusstlos geworden sein.« So wie er es sagte, klang es nicht nach dem Versuch, sie zu beruhigen. Es klang nach Wahrheit.
    In diesem Moment hätte Gesa am liebsten die Arme um ihn geschlungen und sich von ihm festhalten lassen. »Ich vermisse meine Eltern so sehr«, flüsterte sie.
    »Haben Sie nach dem Unglück bei jemandem Geborgenheit und Fürsorge gefunden? Gibt es jemanden, an den Sie sich mit den kleinen Sorgen und Nöten des Alltags wenden können?«
    »Ich bin da draußen nicht allein, falls Sie das meinen«, beeilte sie sich zu sagen. »Sie können mich ruhig gehen lassen.« Bitte, bitte … betete sie.
    Doch er schien nicht bereit, darauf einzugehen. »Gesa, ich möchte Sie noch etwas fragen: Gab es während Ihrer Schwangerschaft etwas, das die Beziehung zum Vater Ihres Kindes gestört hat?«
    Sie sah ihn erstaunt an. »Gestört? Nein. Er hat sich gefreut!«

[home]
    4
    D ie Kirchenbänke waren bis auf den letzten Platz besetzt. Meine Eltern und ich saßen vorne links in der ersten Reihe neben Amelie und Adrian. Die beiden hatten Carl in ihre Mitte genommen. Gleich zu Beginn des Trauergottesdienstes hatte meine Schwester mir zugeflüstert, dass Carl betrunken sei. Während der folgenden Stunde saß er zusammengesunken auf der Bank und schüttelte nur hin und wieder den Kopf, wobei er lautlos die Lippen bewegte.
    Ich versuchte, mir vorzustellen, was in diesem Moment in ihm vorging. Er würde all die wohlmeinenden Sätze über seine Frau und seinen Sohn hören, die dazu gedacht waren, die beiden für die Trauernden noch einmal lebendig werden zu lassen und Trost zu spenden. Und doch würde ihn kein einziges dieser Worte wirklich erreichen. Sie waren wie eine Handvoll Federn, die in eine Waagschale gelegt wurden, um es mit dem Gewicht eines Betonklotzes aufzunehmen.
    Als nach der Trauerpredigt die Orgel einsetzte und hier und da ein Schluchzen übertönte, fixierte ich den Aufsatz des Hochaltars mit Marias Aufnahme in den Himmel. Von Engeln zum Himmel geleitet zu

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