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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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zurück.
    »Hier bist du«, sagte Amelie nur Sekunden später und musterte mich aufmerksam. »Hast du etwa an Carls Tür gelauscht?«
    In dieser so offensichtlichen Situation hätte es keinen Zweck gehabt, meine Schwester anzulügen. Ich fühlte mich ertappt, und genau das würde sich in meiner Miene abzeichnen. »Nicht gerade die feine englische Art«, versuchte ich, einen leichten Ton anzuschlagen. »Aber wie soll ich sonst herausfinden, ob er endlich in einen Tiefschlaf gefallen ist und seinen Rausch ausschläft?« Ich nahm sie bei der Hand und zog sie hinter mir her.
    »Und? Schnarcht er da drinnen?«, fragte sie.
    »Schnarchen ist gar kein Ausdruck.«
     
    Am Abend braute sich über den Bergen ein schweres Gewitter zusammen, in dessen Verlauf auf einer Alm mehrere Kühe vom Blitz erschlagen werden sollten. Vom Fenster meines Zimmers aus sah ich, wie Blitze die Dunkelheit zerschnitten, und hörte kurz darauf ein Donnergrollen, das sich durchs Tal wälzte. Während sich Regenmassen in den heftigen Wind mischten, wurden Äste und Blätter durch die Luft geschleudert, und die Oberfläche des Sees wurde aufgewühlt.
    In der einen Hand eine Zigarette, in der anderen mein Handy telefonierte ich mit Eva-Maria und erzählte ihr von der Beerdigung. Immer noch irritiert beschrieb ich ihr die seltsamen Begebenheiten auf dem Friedhof und die anschließende Auseinandersetzung in Carls Arbeitszimmer. Eva-Maria hörte sich alles geduldig an und meinte schließlich, zwei so traurige Todesfälle würden alles auf den Kopf stellen, da könne man nicht unbedingt logische oder nachvollziehbare Verhaltensweisen erwarten. Ich solle das Ganze nicht überbewerten. Menschen würden eben unterschiedlich auf so etwas reagieren. Die vier Partner hätten vielleicht einfach nur nach einem Ventil für ihre Erschütterung gesucht. Was sie sagte, klang vernünftig, dennoch sperrte sich etwas in mir, das Ganze damit abzutun. Und das war es auch, was mich dazu bewegte, ein paar Tage länger zu bleiben. Eva-Maria versprach, sich weiter um meine Post und die Blumen zu kümmern.
    Blieb mir noch, meine Arbeit bei Richard Stahmer um eine Woche zu verschieben. Als ich seine Nummer wählte und sich sofort die Mailbox einschaltete, war ich enttäuscht, ihn nicht persönlich sprechen zu können. Ich gab mir Mühe, meine Stimme neutral klingen zu lassen, sagte unsere Verabredung für den kommenden Montag ab und bat ihn, sich noch um eine weitere Woche zu gedulden.
    Kaum hatte ich die Verbindung unterbrochen, hörte ich meine Eltern nach Hause kommen. Ich warf das Handy aufs Bett, zog eine dünne, lange Wickeljacke über T-Shirt und Leggings und lief die Treppe hinunter. Meine Mutter, die völlig erschöpft von diesem Tag war, kündigte an, gleich schlafen zu gehen, während mein Vater mich überredete, noch ein Glas mit ihm zu trinken. Er lehnte seinen Stock gegen einen der beiden schwarzen Corbusierstühle in der Halle und legte Sakko und Krawatte über die Lehne. Er würde aus der Küche eine Flasche Wein holen, ich solle schon mal in die Bibliothek vorgehen.
    Mit einem zustimmenden Lächeln setzte ich mich in Bewegung und lauschte auf seine Schritte, die sich Richtung Küche entfernten. Dann schlich ich die paar Meter zurück und durchsuchte mit klopfendem Herzen seine Sakkotaschen nach dem Brief. Bis auf sein Blackberry und ein Salbeibonbon waren die Taschen leer.
    Vor Aufregung und schlechtem Gewissen schoss mir das Blut ins Gesicht und ließ meine Wangen glühen. Auf die Schritte meines Vaters lauschend lief ich in die Bibliothek. Nachdem ich die Downlights gedimmt hatte, setzte ich mich in einen der Clubsessel und atmete gegen meinen aufgeregten Puls an. Noch nie in meinem Leben hatte ich die Taschen eines anderen Menschen durchsucht. Obwohl Lauschen auch nicht viel besser war, fügte ich im Stillen hinzu und versuchte, diese Gedanken möglichst schnell zu verdrängen. Als hätte ich sie noch nie zuvor gesehen, betrachtete ich die weißen Regalwände, die von einem italienischen Designer stammten und bis auf den letzten Zentimeter mit Büchern vollgestellt waren. Mein Vater, der zwar kaum Zeit zum Lesen hatte, interessierte sich leidenschaftlich für Zeitgeschichte und Politik, während meine Mutter über die Jahre eine beachtliche Sammlung von Bildbänden zu den Themen Kunst, Garten, Design und Lifestyle zusammengetragen hatte. Das, was an belletristischer Literatur dazwischen Platz gefunden hatte, stammte von Amelie und mir.
    Als ich das leise

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